Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 918

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sollte. Die deutsche Regierung, durch die allgemeine Gärung und die Ereignisse in Rußland eingeschüchtert, bereitete sich ihrerseits darauf vor, dem (9.) 22. Januar 1906 und den an diesem Tag zu erwartenden Demonstrationen mit „außerordentlichen Maßnahmen“ und im Voraus vorbereiteter „bewaffneter Macht“ zu begegnen.

Unter solchen Bedingungen hielt es der Parteivorstand der deutschen Sozialdemokratie für notwendig, sich ernsthaft der Frage zu stellen, wie man es diesmal in Deutschland mit dem Massenstreik, Demonstrationen usw. halten sollte: Soll man oder soll man nicht die Losung zu Massenaktionen neuer Art herausgeben? Leider kam der Parteivorstand dabei auf die ziemlich unglückliche Idee, eine Geheimkonferenz mit der Generalkommission der Gewerkschaften zu veranstalten. Wie es in solchen Fällen gewöhnlich ist, wurden die Tatsache der Konferenz selbst sowie deren Ergebnisse auf Umwegen und teilweise entstellt bald bekannt. Das Organ der sogenannten lokalen Gewerkschaften, die mit den zentralisierten Gewerkschaften verfeindet sind, aber hauptsächlich oder fast durchgehend von überzeugten Sozialdemokraten getragen werden, beeilte sich, der Welt den „Verrat“ kund zu tun, dessen sich der Parteivorstand der deutschen Sozialdemokratie angeblich schuldig gemacht habe, indem er sich in der Geheimkonferenz mit den Führern der Generalkommission der Gewerkschaften von der Idee des Massenstreiks losgesagt hätte.[1]

Diese „Enthüllung“ verursachte natürlich viel Lärm, und der Parteivorstand sah sich, um Mißverständnissen und falschen Auslegungen aus dem Weg zu gehen, genötigt, mit der Veröffentlichung der Protokolle seiner „vertraulichen“ Beratung mit der Generalkommission der Gewerkschaften zu beginnen. Aber gerade da kam es zum schroffen Zusammenprall der Vertreter der Partei und der Gewerkschaften. Letztere beharrten, ohne auch nur im Geringsten auf die starke Erregung unter den Parteimitgliedern und auf die äußerst peinliche Lage des Parteivorstandes Rücksicht zu nehmen, auf der Wahrung des „Geheimnisses“; der Parteivorstand seinerseits beschloß gegen die Proteste der Gewerkschaften, nicht nur die Ergebnisse seiner Konferenz mit ihnen, sondern auch die Protokolle einer nicht weniger „vertraulichen“ Beratung aller Gewerkschaftsführer zu veröffentlichen, die sich mit dem Massenstreik und mit den Beziehungen zwischen den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie überhaupt befaßt hatte.

Dieses Protokoll „enthüllte“ vor der Partei natürlich nicht den „Verrat“ ihres Parteivorstands, sondern den heftigsten Feldzug der Gewerkschaftsführer gegen die Sozialdemokratie. Kampf gegen die „Linken“, gegen die „revolutionären Romantiker“, gegen die „Literaten“, gegen Anhänger des Massenstreiks, wobei die stärksten Hiebe das schuldbeladene Haupt der Autor[in] dieser Zeilen trafen, – das war der Kampfruf dieser „vertraulichen“ Beratung, an der mehrere Hundert Gewerkschaftshäuptlinge teilgenommen hatten. In diesem Zusammenhang wurde das Verhältnis der Gewerk-

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[1] Diese geheime Beratung des Parteivorstandes mit der Generalkommission der Gewerkschaften hatte am 19. Februar 1906 in Berlin stattgefunden. Vom 19. bis 23. Februar 1906 war eine Konferenz von Vertretern der Zentralvorstände der Gewerkschaften gefolgt.