Zur Wahl in Kattowitz-Zabrze
[1]schreibt man uns: Der allgemeine, auch im Wahlkreise selbst überraschend glänzende Wahlsieg des Polen Korfanty beansprucht unser besonderes Interesse nicht nur deshalb, weil diese Wahl eine überaus schwere Niederlage der preußischen Polenpolitik darstellt und zugleich dem Zentrum eine tiefe Wunde schlägt, sondern auch darum, weil die Kosten dieses Polensieges auch von der Sozialdemokratie getragen werden mußten. Mehr wie die Hälfte ihrer bei der Wahl des Jahres 1903 erzielten Stimmen verlor die Sozialdemokratie. Was bei der Fahne verblieb, waren zur größeren Hälfte gewiß die deutschen Arbeiter und Handwerker, während die selbständige polnische sozialdemokratische Partei, die ja auch den Kandidaten stellte, geradezu zersprengt wurde.
Was führte die Fahnenflucht der Tausende bisher sozialdemokratisch stimmenden polnischen Proletarier herbei? Lediglich die politische Unreife und Unwissenheit derselben. Man nahm eben die demagogisch geschickten Redensarten Korfantys, der der Sohn eines oberschlesischen Bergmanns ist und die Eigenarten seiner Landsleute trefflich zu benutzen weiß, seine Versprechungen, für die Arbeiter einzutreten, für bare Münze. „Morawski und Korfanty, das ist gleich, beide sind für die Arbeiter.“ Das konnte man immer wieder von Arbeitern hören. Korfanty aber hatte gegenüber Morawski zwei besondere Vorzüge für die polnischen Arbeiter: Er stellte sich als fanatischer Verfechter der nationalen Rechte und Forderungen dar und beteuerte immer wieder, ein treuer Sohn der katholischen Kirche zu sein. Und dann hatte gerade die Ungültigkeitserklärung der Wahl Korfantys die Stimmung der polnischen Arbeiter außerordentlich zu dessen Gunsten beeinflußt. Tausende sagten und glaubten: „Den haben sie aus dem Reichstage fortgejagt, weil er für uns gesprochen hat. Wir müssen ihn aber wieder hinschicken.“ Ein ganz intelligenter Arbeiter sagte dem Schreiber dieser Zeilen: „Der Minister hat über den Woiczech (Albert) geschimpft und da haben sie ihn in Berlin fortgeschickt. Er wird aber wieder hingehen.“ Daß weiter Korfantys perfider Verleumdungsfeldzug gegen die Sozialdemokratie, der sich in den letzten
[1] Der Artikel erschien anonym, ist aber sehr wahrscheinlich von Rosa Luxemburg. Noch bevor sie Chefredakteurin des „Vorwärts“ wurde, erwartete August Bebel, wie sie am 29. September 1905 an Leo Jogiches schrieb, „daß sie regelmäßig (zweimal im Monat oder in der Woche) einen Artikel für den ‚Vorwärts‘ schreibe“. GB, Bd. 2, S. 177. – In der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), ist er unter Nr. 354 ausgewiesen.