Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 882

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gen: er habe seit seiner Konfirmation nichts mehr hinzugelernt.“ Und damit Schwamm drüber.

Das Kasseler Blatt sucht den für sich blamablen Sachverhalt durch die obige Diversion zu vertuschen. Nicht wir haben uns einer Schulmeisterei schuldig gemacht, sondern das Blatt des Genossen Scheidemann hat es ohne jeden Grund unternommen, uns über die elementarsten Tatsachen der Handelspolitik zu belehren und uns z. B. die nagelneue Weisheit zu eröffnen, daß es im geltenden deutschen Zolltarif gewisse feste Minimalzölle gäbe. Daß wir auf diese Naivitäten die gebührende Antwort nicht schuldig geblieben sind, ist ganz selbstverständlich. Haben wir dabei, wie es sich jetzt herausstellt, einem alten und „kenntnisreichsten“ Mitarbeiter des Kasseler Blattes an schuldigem Respekt fehlen lassen, so wird uns hoffentlich jegliches menschliches Gericht von der Schuld freisprechen, angesichts des mildernden Umstandes, daß an dem geheimnisvollen Zeichen des Mitarbeiters ]=[ keines sterblichen Auge das ehrwürdige Alter oder reiche Kenntnisse entdecken konnte und an dem Inhalt seiner Notiz leider noch viel weniger.

Vor allem handelt es sich jedoch gar nicht darum, ob der in seinem kenntnisreichsten Mitarbeiter getroffene und gekränkte Genosse Scheidemann auf unsere Replik wieder aufmucken sollte oder nicht. Die von dem alten schweizerischen Recht der Partei des Verlierenden zugebilligte sogenannte Schimpfzeit billigen auch wir dem Genossen Scheidemann von Herzen gerne zu. Es handelt sich aber darum, daß die Tribüne des Reichstages, d. h. ein bürgerliches Parlament, nicht die geeignete Stelle ist, wo sozialdemokratische Vertreter ihre Schmerzen über die sozialdemokratischen Blätter vorzutragen haben. Dazu sind Parteiversammlungen, Parteiblätter und Parteiinstanzen da. Wenn Genosse Scheidemann uns, auf seine psychologischen Kenntnisse der Genossen Heine, Frohme, Bernstein, Elm, Ehrhart hin, versichert, daß diese Abgeordneten auch die Reichstagstribüne zu Anklagen gegen das Zentralorgan der eigenen Partei benutzen wollen, so ist es Sache der Genannten, sich gegen die Menschenkenntnis ihres Kollegen zu verwahren. Wir unsererseits werden auch künftighin bei jedem solchen Fall mit aller Energie ein Verfahren wie das Scheidemannsche zurückweisen. Unsere Abgeordneten werden in den Reichstag ausschließlich zur Kritik der bürgerlichen Gesellschaft und nicht zur Kritik der eigenen Parteiorgane gewählt. Darum, was wir untereinander auszufechten haben, bleibe intra muros, – in den Mauern der Partei.

Von der Meinungsfabrik

Mehr als einmal hat man in der letzten Zeit Gelegenheit gehabt, sich darüber zu beklagen, daß unsere Provinzpresse sich über verschiedene wichtige Vorgänge des Parteilebens fertige Urteile aus einer Meinungsfabrik[1] aneignet und sie ganz mechanisch

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[1] Gemeint ist die von Friedrich Stampfer herausgegebene „Berliner Korrespondenz für die sozialdemokratische Presse“, die seit 1904 sechsmal wöchentlich in Groß-Lichterfelde bei Berlin erschien.