Ein Markstein
Die „Sächsische Arbeiter-Zeitung“ schreibt: Vor rund fünf Jahren erschien aus der Feder der Genossen Lehmann und Parvus das erschütternde Werk „Das hungernde Rußland“.[1] Es riß den Vorhang auf, hinter dem die russische Regierung das furchtbare Elend der Bauernschaft der Welt verbergen wollte, es zeigte, wie morsch und brüchig die Fundamente des russischen Kolosses. Aber dieses Buch war nicht nur seines Inhaltes wegen eine Tat. Es war es auch wegen der persönlichen Gefahren, die die Verfasser auf sich genommen hatten, um die Unterlagen für das Werk zu gewinnen. Sie sind erarbeitet worden im Schatten der Schlüsselburg und des großen sibirischen Eiskerkers. Unter falschem Namen mußte Genosse Parvus damals sein Vaterland aufsuchen und nur der Dummheit der Tschinowniks[2] und seiner Kaltblütigkeit hat er es zu danken, daß er den Fängen des Zarismus entging.
Fünf Jahre sind seitdem verflossen. Sie haben genügt, um den Koloss, dessen tönerne Füße das Buch unserer beiden Genossen enthüllte, zu stürzen. Die russische Revolution hat gute Arbeit geleistet. Das alte Rußland wird sich nicht mehr erheben. Wie groß aber der Abstand ist zwischen dem Gestern und Heute der russischen Zeitrechnung, das führt uns ein Schreiben vor Augen, das wir, so gering sein sachliches Gewicht ist, doch um seiner symptomatischen Bedeutung willen als einen Markstein bezeichnen dürfen. Dieses Schreiben, das uns vor einigen Tagen zuging, lautet:
St. Petersburg (Datum des Poststempels).
Werte Genossen!
Im Auftrage der Redaktion unserer Parteizeitung „Natschalo“ (Der Anfang) bitte ich Sie, uns ein Exemplar Ihrer Zeitung gratis übersenden zu wollen. Die ersten Nummern unserer Zeitung werden wir Ihnen zukommen lassen; von einer regelmäßigen Zusendung glauben wir absehen zu können, doch soll das gern geschehen, wenn Sie Wert darauf legen. Die Zeitungen gelangen zensurfrei ungehindert an uns.
Mit parteigenössischem Gruß
Parvus
Diesen gedruckten Zeilen ist sodann vom Genossen Parvus handschriftlich die Adresse des neuen Parteiorgans angefügt.
So ist also Genosse Parvus jetzt im eigenen Vaterlande an dem Werke tätig, dem er viele Jahre hier in Deutschland seine Kräfte geliehen hat. Der russische Flüchtling, der in der deutschen Sozialdemokratie Bürgerrecht, als leitender Redakteur der „Sächsischen Arbeiter-Zeitung“ sich einen dauernden Platz in der Geschichte der deut-