Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 171

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Der Jahresbericht der englischen Fabrikinspektorinnen für 1897

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ist kürzlich von der Oberinspekteurin Miß Anderson der Regierung vorgelegt worden. Die Darstellung der eingelaufenen und von den Inspektorinnen untersuchten Beschwerden, gesetzwidrige Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen betreffend, nimmt in dem Bericht einen breiten Raum ein. Im Berichtsjahr liefen bei den Inspektorinnen 397 Beschwerden ein, von denen nur eine sehr kleine Anzahl nicht auf ihre Berechtigung untersucht werden konnte, weil die Arbeiterinnen aus Furcht in ihren Angaben zu unbestimmt geblieben waren. 33 der untersuchten und als zutreffend erkannten Beschwerden bezogen sich auf die gesetzwidrigen sanitären Arbeitsbedingungen in Fabriken, 40 auf die Unsauberkeit der Aborte und die ungenügende Ventilation in den Arbeitsräumen, 14 auf die Überfüllung und den mangelnden Luftraum derselben, 78 auf gesetzwidrige Überzeitarbeit an den Werktagen, elf auf Sonntagsarbeit, 48 auf ungesetzliche Strafen und Lohnabzüge. Man darf wohl annehmen, daß ein großer Teil der eingegangenen und geprüften Beschwerden seitens der Arbeiterinnen nie zur Kenntnis von Inspektoren gebracht worden wäre. Vor allem gilt dies von den Beschwerden, welche sich auf den gesundheitsschädlichen Einfluß bestimmter Arbeitsbedingungen beziehen, ferner von denen, welche die Beschaffenheit der Aborte betreffen.

Nach dem Bericht sind die elendesten Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen in Irland anzutreffen. Die Fabrikinspektorin, welche hier revidierte, entdeckte, daß in zahlreichen Betrieben ein raffiniertes Trucksystem in Kraft stand. Die Arbeiterinnen wurden entweder in Waren ausgezahlt oder in Marken bzw. Coupons, welche nur in einem ganz bestimmten Laden an Zahlungsstatt genommen wurden, oder aber, sie hatten sich durch einen besonderen Vorbehalt verpflichten müssen, nur in bestimmten Läden einzukaufen. Durch amtliche Revisionen hätte die Inspektorin den gaunerhaften Unternehmerkniff nicht mit genügender Sicherheit feststellen gekonnt. Die eingeschüchterten Arbeiterinnen wagten keine Aussagen. Die Inspektorin besuchte deshalb abends Arbeiterfamilien, denen ihre amtliche Eigenschaft unbekannt war, suchte ihr Vertrauen zu gewinnen und erlangte auf diese Weise die nötigen genauen Angaben. Der Bericht hebt hervor, daß die Zahl der Fälle stetig wächst, in denen sich Arbeiterinnen oder Organisationen mit Beschwerden an das weibliche Fa-

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[1] Der Artikel ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen, versehen. An Leo Jogiches hatte Rosa Luxemburg am 10. Juli 1898 geschrieben: „Mit Parvus [Redakteur der SAZ] habe ich die Beziehungen aufs beste hergestellt: Ich schreibe solche Notizen für ihn, wie Du sie dort hast, über Polen, Frankreich und Belgien. Sie geben mir 30 M im Quartal für das Zeitschriftenabonnement! Natürlich neben dem Honorar.“ Bei Gelegenheit wünsche er solche Notizen auch über England, Italien und die Türkei. Siehe GB, Bd. 1, S. 171.