Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 879

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Das Gespenst wird also immer schrecklicher an die Wand gemalt. Nun ist es gar „die sozialdemokratische Parteileitung“ selbst, die jene phantastische „antiparlamentarische und antigewerkschaftliche Propaganda“ fördert! So wird schon der gänzlich unmotivierte und unverständliche Kassandraruf der drei Hamburger Genossen in „vermehrter und verbesserter Auflage“ unter den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern kolportiert. Und dann fühlen sich gewisse Gewerkschaftsführer höchst beleidigt und gekränkt, wenn man von ihrer förmlichen Hetze gegen die Sozialdemokratie spricht!

Man schreibt uns aus Dresden: Über das schöne Wort von den „Revolutionsromantikern“, das in Hamburg geprägt wurde, und über die ganze Erklärung der Hamburger drei Genossen fällt natürlich die gegnerische Presse mit Wohlbehagen her. In Sachsen wenigstens nagen die bürgerlichen Reptile bereits eifrig an diesem Knochen. In Dresden wollte es der Zufall, daß im konservativen Verein nach einem Referat des bekannten Max Lorenz zu derselben Zeit, als die fragliche Erklärung der drei Hamburger Genossen im „Echo“ erschien, eine Resolution angenommen wurde, in der unter anderen dem Reichskanzler „unterbreitet“ wird, „ob vorbeugende Maßregeln mit den Mitteln verbesserter Strafgesetzgebung gegen etwaige Inszenierung des politischen Massenstreiks und gegen die Billigung und Verherrlichung des politischen Meuchelmordes und die direkte und aktive Beteiligung der deutschen Sozialdemokratie an revolutionären Bewegungen auch jenseits unserer Landesgrenzen im Interesse der nationalen Sicherheit und des staatsbürgerlichen Rechtsbewußtseins angebracht wären“.

Man kann sich denken, welche Schlußfolgerungen für ihre Sache Leute, die solche Resolutionen beschließen, aus der Erklärung der drei Hamburger Genossen ziehen.

Ein Pressesünder

Genosse Westmeyer von der „Schwäbischen Tagwacht“ verließ gestern die Strafanstalt Hechingen, wo er sich drei Monate lang liebevoller Pflege erfreute. Weil er den lieben Gott beleidigt haben sollte, was aber von zwei protestantischen Geistlichen aufs Entschiedenste bestritten wurde, nahm man ihn auf drei Monate hinter Schloß und Riegel. Wie einem gemeinen Verbrecher wurde ihm die Vergünstigung der Selbstbeschäftigung und Selbstbeköstigung verweigert. Am 4. November, nachdem drei Viertel der Strafzeit verflossen waren, wurde ihm die Selbstbeschäftigung noch angeboten, jetzt aber leistete Westmeyer dankend Verzicht und vereitelte so der preußischen Gefängnisverwaltung den Plan, sich noch mit dem Mäntelchen besonderer Humanität zu umhüllen. Westmeyer hat nun seine Strafe in ihrer ganzen Härte verbüßt.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 282 vom 2. Dezember 1905

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