Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 898

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ganze äußere Gestaltung und Färbung des geistigen Kampfes betrifft, dem unsere Presse als Waffe dient, so ist diejenige Mannigfaltigkeit, Lebendigkeit und Frische erwünscht, die sich nur im freien Wettbewerb aller verfügbaren Kräfte erzielen läßt.

Gewerkschaftskretinismus

Die „Allgemeine Steinsetzer-Zeitung“ bricht in ihrer letzten Nummer eine Lanze für den Redakteur des Verbandsorgans der Buchdrucker, den wir neulich in einer Notiz unter dem obigen Titel unter die Lupe genommen haben. Das Organ der Steinsetzer schreibt: Es ist ein ungemein charakteristisches Zeichen für die Wertschätzung der Gewerkschaftsbewegung in der neuen „Vorwärts“-Redaktion, wenn dieselbe für ein Gewerkschaftsorgan, das sich sozusagen auch eine eigene Meinung gestattet, nichts weiter übrig hat, als eine derart klotzige Beschimpfung. In der Tat aber handelt es sich hier nicht um die Person eines beliebigen Gewerkschaftsredakteurs, sondern, wie oben gesagt, um die Gewerkschaften. Hier handelt man nach dem bekannten Sprichwort von dem Sack und dem Esel: Das Buchdruckerorgan schlägt man, die Gewerkschaften meint man!

Es ist eigene Sache der „Allgemeinen Steinsetzer-Zeitung“, wenn sie sich in dem „geschlagenen“ Redakteur des Buchdruckerorgans getroffen fühlt; wir müssen jedoch dagegen protestieren, daß man diesen Redakteur und sein Organ mit den deutschen Gewerkschaften schlechthin identifiziert, um „der neuen Redaktion“ des „Vorwärts“ eine Animosität gegen die Gewerkschaftsbewegung anzudichten. Noch ist glücklicherweise der „Correspondent der Buchdrucker“ nicht der Typus, und Herr Rexhäuser nicht der berufene Wortführer der deutschen Gewerkschaftswelt, vielmehr sitzt er mit seiner Auffassung wie mit seinen polemischen Manieren innerhalb der Gewerkschaften auf einem Isolierschemel. Wenn aber die „Steinsetzer-Zeitung“ verwundert fragt, worin der von uns festgenagelte Gewerkschaftskretinismus bestehe und wo er in der Welt zu finden sei, so verweisen wir sie bloß auf zwei kleine Proben aus den jüngsten Tagen.

In einer vom Dresdener Gewerkschaftskartell einberufenen Versammlung sprach Herr Rexhäuser neulich über den Massenstreik, wobei sein Leitmotiv der Protest gegen das Hineintragen von „Theorien“ in die Gewerkschaftskreise war. In seiner Polemik gegen das sozialdemokratische Theoretisieren führte er nun – nach dem Bericht der „Sächsischen Arbeiter-Zeitung“ – das folgende Argument an: „Besonderes Interesse verdiene zum Beispiel die Entwicklung in der Textilindustrie. Man hat sich all die technischen Umwälzungen ruhig gefallen lassen, in der an sich richtigen Auffassung, daß sie doch nur zum Sozialismus hinführen. Wir müssen auch dafür sorgen, daß wir heute die Arbeiter widerstandsfähig halten. Man hat ja gesehen, daß die sozialdemokratischen Textilarbeiter in Sachsen nicht imstande waren, den elfstündigen Normalarbeitstag zu beseitigen. Daran erkennt man, daß die Theorie mit der Wirklichkeit nicht ganz im Einklange steht. Man könne sich damit nicht sättigen.“

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