Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 473

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Wie die polnische Sonderorganisation die „Einigung“ versteht

[1]

Wir haben neulich auf Grund des Berichts über den polnischen Parteitag im „Vorwärts“ das eigentümliche Verhalten der polnischen Sondergruppe in der Frage der Einigung beleuchtet.[2] Der soeben erschienene Bruchteil des Berichts in der „Gazeta Robotnicza“ (vom 7. Januar) zeigt aber, daß die Verhandlungen des genannten Parteitags tatsächlich in noch schrofferem Widerspruch zu den vereinbarten Grundlagen der Einigung standen, als man dies nach dem deutschen Bericht annehmen konnte.

Aus dem ganzen Vorstandsbericht geht zur Evidenz hervor, daß die polnische Sondergruppe in jeder Hinsicht nach der Einigungskonferenz in demselben Kurs fortzufahren beabsichtigt wie bis jetzt. Nicht nur wird die „Einigung“ mit gehässigsten Attacken auf unsere zur Gesamtpartei gehörigen Genossen eingeleitet, auch die „Wiederherstellung Polens“ wird als Parteigrundsatz aufrechterhalten. Wie sehr indes diese Darstellung den wirklichen Verlauf der Einigungskonferenz und der tatsächlichen Auffassung des deutschen Parteivorstands von derselben widerspricht, beweist das folgende offizielle Schreiben, das der genannte Vorstand am 9. Dezember an die Genossen in Posen und Schlesien gerichtet hat.

„Zu dem aus den Kreisen der deutschen Genossen laut gewordenen und besonders von den Posener Genossen energisch vertretenen Wunsche, der polnische Parteivorstand möge noch zur Anerkennung des Absatzes 2 der Leitsätze der Genossin Luxemburg und Genossen:

Als Programm der Partei gilt das Erfurter Programm. Das Postulat der Unabhängigkeit des polnischen Staates kann nicht als bindendes politisches Programm der Partei gelten und in der Agitation betätigt werden, veranlaßt werden, hat der deutsche Parteivorstand folgende Stellung eingenommen:

Die in dem Absatz 2 der Luxemburgschen Leitsätze enthaltene Forderung ist bereits in den zwei Zeilen der Leitsätze des deutschen Parteivorstandes:

Zugehörigkeit der polnischen Organisation zu der Gesamtpartei Deutschlands, Anerkennung des Parteiprogramms und der Parteiinstanzen enthalten.

Wenn die polnische Organisation nur ein integrierender Bestandteil der deutschen Sozialdemokratie ist, gilt für sie natürlich auch nur das deutsche, das heißt das Erfurter

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[1] Der Artikel ist nicht gezeichnet. Nach Rosa Luxemburgs Brief an Julius Bruhns [zwischen 7. und 12. Januar 1903] ist sie die Autorin, siehe GB, Bd. 2, S. 12.

[2] Siehe S. 457 f. und 467 ff.