Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 894

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lich wieder das proletarische Lesepublikum mit einem Erzeugnis traktiert hat, das als ein Muster der hastigen und gedankenlosen Pfuscherarbeit dem berühmten Schillerartikel aus derselben Fabrik[1] würdig an die Seite gestellt werden kann. Wie sehr sich auch der Verfasser dreht und windet, indem er uns auf das Konversationslexikon verweist, wo man alle seine berühmten Ausländer finden könne, Tatsache bleibt es, daß er den Arbeitern als das maßgebende Urteil „des Auslandes“ über die deutsche Politik ein Bündel großspuriger Phrasen aus der Feder verschiedener zum Teil direkt reaktionärer Professoren, Dichter und sonstiger Eigenbrötler vorgelegt hatte, die als politische Autoritäten einem bürgerlichen Literaten gewaltig imponieren mögen, für das klassenbewußte Proletariat jedoch zum mindesten Hekuba sind.

Wenn der gekränkte Meinungsfabrikant in seiner peinlichen Situation nun versucht, sogar an Druckfehlern im „Vorwärts“ seine Unzufriedenheit auszulassen und uns z. B. belehrt, daß man „vom Vizepräsidenten“ und nicht „vom Vizepräsident“ sage, so finden wir das sehr unvorsichtig von ihm. War doch er gerade gezwungen, als ihm im Mai dieses Jahres die Unsinnigkeiten und Verdrehungen seines „Schillerartikels“ öffentlich vorgehalten wurden, sich auf lauter fatale „Druckfehler“ herauszureden. Ja, während unser Druckfehlerteufel wenigstens ein harmloses Tier ist, das mal einige Buchstaben, freilich oft auch den Sinn damit verdreht, wurde der Verfasser der Fabrikartikel von einem höchst gelehrten kantianischen Druckfehlerteufel verfolgt, der z. B. in einem Zitat des Schillerartikels die „Reine Vernunft“ nicht etwa in „Feine“, „Keine“, „Kleine“, „Seine“ oder irgendeine ähnliche, sondern direkt in „Praktische Vernunft“ verwandelt hatte! Wer von solchen fatalen Druckfehlern selbst geplagt wird, der hat alle Ursache, sich zu sagen: O, rühre, rühre nicht daran!

Der Meinungsfabrikant protestiert schließlich gegen die von uns angeblich betriebene „Schnüffelei nach dem Autor“ und das Bestreben des „Vorwärts“, „die Persönlichkeit des Verfassers hervorzuzerren“. Wir können auf Ehre versichern, daß wir hinter den fabrikmäßigen Presseerzeugnissen nicht im Geringsten eine Persönlichkeit vermuteten. Ganz im Gegenteil. Es kam und kommt uns nur auf die Sache an, nämlich auf die Kennzeichnung des gefährlichen Unternehmens, den frischen geistigen Wettbewerb und Meinungskampf unserer Provinzpresse durch den Abdruck geisttötender fertiger Schablonen zu ersetzen. Vor diesem Unternehmen werden wir nach wie vor unsere Presse warnen, und wir können nur bedauern, doch nichts daran ändern, wenn wir dabei den Unternehmer kränken.

Was ist Revisionismus?

Im Anschluß an die Besprechung des „Vorwärts“-Konflikts[2] hat sich im „Bau- und Hilfsarbeiter“ eine interessante Polemik über Parteirichtungen entsponnen. Die letzte

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[1] Siehe [Friedrich Stampfer]: Schiller. In: Volksbote (Stettin), Nr. 107 vom 9. Mai 1905. Abgedruckt in: Schillerdebatte 1905. Dokumente zur Literaturtheorie und Literaturkritik der revolutionären deutschen Sozialdemokratie. Hrsg. und eingel. von Gisela Jonas, Berlin 1988, S. 231 ff.

[2] Der Vorwärts, der nach dem Tode Wilhelm Liebknechts unter der Chefredaktion von Kurt Eisner immer mehr in das Fahrwasser der Opportunisten geraten war, hatte sich 1905 auf die Seite der Gegner des politischen Massenstreiks gestellt und durch diese Haltung große Empörung bei der Mehrheit der Sozialdemokraten ausgelöst. Dieses Problem hatte auch auf dem Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Jena 1905 eine Rolle gespielt. Vom Parteitag war eine Fünfzehnerkommission eingesetzt worden, um den sachlichen Inhalt einiger Anträge zu prüfen, in denen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen sozialdemokratischen Zeitungen, besonders dem Vorwärts und der LVZ, über taktische Fragen, vorwiegend den politischen Massenstreik, als „Literatengezänk“ bezeichnet wurden und die unter diesem Deckmantel die Einstellung der Auseinandersetzung forderten. Die Kommission verwarf diesen Standpunkt. Der Vorwärts vom 22. Oktober 1905 veröffentlichte die Kündigung der sechs bisherigen Vorwärts-Redakteure. Am 25. Oktober 1905 druckte der Vorwärts die Mitteilung des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei ab, daß in einer Sitzung leitender Funktionäre der Partei am 23. Oktober 1905 in Berlin die Kündigung der Vorwärts Redakteure akzeptiert und Maßnahmen zur Ergänzung der Redaktion beschlossen worden waren. An dieser Zusammenkunft hatten teilgenommen: der Parteivorstand, die Vertrauensleute von Berlin und Umgegend, die Vorsitzenden und Kassierer der acht sozialdemokratischen Wahlvereine, die Lokalkommission, die Agitationskommission für die Provinz Brandenburg sowie Abgeordnete und Kandidaten der Wahlvereine Berlins und Umgegend für den Reichstag. Die neue Redaktion nahm mit Rosa Luxemburgs als Verantwortliche ab 1. November 1905 ihre Tätigkeit auf.