Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 304

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sie, die da zu Beratungen über die lautersten und edelsten Fragen der Menschheit mit der Moral der Bourgeoisie und mit der Böswilligkeit der Jesuiten kommen! (Lebhafter Beifall.) Ich gebe Ihnen die Versicherung meiner tiefsten Verachtung, ich bezeichne sie vor der gesamten sozialistischen Welt als unwürdig, den ehrenvollen Namen eines Polen und eines Sozialisten zu tragen! Was Sie anbelangt, Bürger, so bitte ich Sie, alle fünf zurückgewiesenen Mandate,[1] die sich in den Händen von aufrichtigen Sozialisten befinden, einstimmig zu bestätigen. (Erneuter Beifall.) Sie würden auf diese Weise diesen Sozialisten zeigen, daß das Ideal unserer Sache nicht nur wirtschaftliche Gleichheit und politische Freiheit ist, sondern daß dazu auch die Grundprinzipien von Treu und Glauben, von Gerechtigkeit und Brüderlichkeit gehören. (Langanhaltender Beifall.)

II Rede über den Völkerfrieden, den Militarismus und die stehenden Heere

[2]

Die Mitglieder der vierten und der fünften Kommission[3] sind sich darüber einig geworden, daß aus beiden Kommissionen eine einzige gebildet werden soll, da Militarismus und Kolonialpolitik des Imperialismus ein und dieselbe reaktionäre Strömung der bürgerlichen Welt darstellen.

Es war immer das Grundprinzip der sozialistischen Genossen, den Militarismus zu bekämpfen, der vor allem anderen der große Feind der Arbeiterklasse ist, der danach strebt, uns zu zerschmettern, uns auszuhungern und zu demoralisieren. Die alte Internationale hat ihre Stimme erhoben, hat unüberhörbar ihre Empörung gegen kapitalistische und militaristische Gewalt zum Ausdruck gebracht. Jeder internationale und nationale Kongreß hat den Militarismus als mächtigstes Instrument der bürgerlichen und kapitalistischen Klasse gebrandmarkt und gegen ihn protestiert. Insofern, Bürger, hätte unser Kongreß nichts Neues getan, als er über eine Resolution abstimmte, die denen entspricht, die von allen vorhergehenden Kongressen gegen den Militarismus angenommen worden sind.

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[1] Die Mandate betreffen neben Rosa Luxemburg Maurycy Warszawski (Z˙arski), Konrad Kasperowicz (Konarski), Kazimierz Kasperski (Pruszkowski) und Zygmunt Ga˛siarowski (Jarski). In der 4. Sitzung des Kongresses am 25. September 1900 teilte Henry Mayers Hyndman mit, daß die von Ignacy Daszyński bestrittenen Mandate vom Büro des Kongresses einstimmig für gültig erklärt worden seien.

[2] Überschrift der Redaktion. Es handelt sich bei dem Text des französischen Protokolls des Pariser Sozialistenkongresses um eine ausführlichere und direkte Wiedergabe der Rede. Der in den GW, Bd. 1, 1. Halbbd., S. 807–809, abgedruckte Text nach dem deutschen Protokoll gibt die Rede z. T. indirekt bzw. zusammenfassend wieder.

[3] Auf dem Kongreß waren zur Vorbereitung der einzelnen Tagesordnungspunkte und zur Ausarbeitung von Resolutionen zwölf Kommissionen gebildet worden, in die jede Nation je zwei Mitglieder entsandte. Von deutscher Seite wurde Rosa Luxemburg zusammen mit Paul Singer für die Kommission zum Punkt 4: Der Völkerfriede, der Militarismus, die Beseitigung der stehenden Heere, und zum Punkt 5: Die Kolonialpolitik, benannt.