Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 508

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der Marxschen Theorie voraus, die in dieser Kritik ihre Anwendung findet, wie auch die Kenntnis wenigstens der wichtigsten der kritisierten bürgerlichen Ökonomen.

Wir geben im folgenden zwei kleine Stichproben aus dem Buche, um auch denjenigen Genossen, die es nicht selbst lesen können, den Genuß seiner Lektüre einigermaßen zu verschaffen.

I. Ein bürgerlicher Nationalökonom aus dem XVIII. Jahrhundert

Unter den frühesten Schriftstellern der Nationalökonomie, namentlich unter denen, die bereits in der aufkommenden kapitalistischen Wirtschaft ihre sozialen Zusammenhänge aufgedeckt haben, ist besonders der Franzose Linguet bemerkenswert.[1] Er schrieb seine „Theorie der sozialen Gesetze oder der Grundprinzipien der Gesellschaft“ im Jahre 1767, also zu einer Zeit, wo die bürgerliche Aufklärung noch die heranbrechende Ära der Herrschaft des Kapitals in den strahlendsten Farben der Ideologie zeigte, wo die aufkommende bürgerliche Gesellschaftsordnung namentlich gegenüber dem noch herrschenden Feudalismus naturgemäß nur ihre fortschrittliche, revolutionäre Seite herauskehrte. Trotzdem richtete Linguet bereits damals gegen die junge kapitalistische Gesellschaft eine vernichtende Kritik, er entdeckte und zeigte bereits mit rücksichtsloser Offenheit ihre Hypokratuszüge, indem er in ihren wundesten Punkt, die soziale Frage, den Klassengegensatz, die Lage der Arbeiterklasse seine theoretische Sonde legte.

„Das Wesen der Gesellschaft“, schreibt er, „besteht darin, den Reichen von der Arbeit zu befreien. Er erhält dadurch neue Organe, unermüdliche Glieder, die alle mühseligen Arbeiten auf sich nehmen, deren Früchte er sich aneignet. Die Sklaverei ermöglichte es ihm, ohne Schwierigkeit dies Ziel zu erreichen. Er kaufte die Menschen, die ihm dienen sollten.“[2] „Als man die Sklaverei abschaffte, wollte man weder den Reichtum noch seine Vorteile aufheben. … So mußten die Dinge, bis auf den Namen, in demselben Zustand bleiben. Es war immer notwenig, daß der größte Teil der Menschen vom Lohn und in Abhängigkeit von einem viel kleineren Teil lebte, der sich alle Güter angeeignet hatte. Die Knechtschaft ist also fortgesetzt worden, aber unter einem milderen Namen. Sie hat den schönen Namen der Dienerschaft (Domesticité) angenommen.“[3]

Unter diesen Dienern, sagt Linguet, verstehe er nicht die Lakaien usw.

„Die Städte und die Dörfer werden von einer anderen Art Diener bewohnt, viel zahlreicher, nützlicher, arbeitsamer und bekannt unter dem Namen Taglöhner, Hand-

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[1] Siehe Simon-Nicolas-Henri Linguet: Theorie des loix civiles, on principes fondamentaux de la société, t. I – II, Londres 1767.

[2] Von Rosa Luxemburg zitiert nach Theorien über den Mehrwert, Kautsky-Ausgabe, Bd. 1, S. 119–124. In: MEW, Bd. 26, Erster Teil, S. 292–296.

[3] Ebenda.