Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 923

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Der Massenstreik vor Gericht. Verteidigungsrede am 12. Dezember 1906 vor dem Landgericht in Weimar

[1]

Nach einem Zeitungsbericht

Vorsitzender: Ich erteile nunmehr der Angeklagten das Wort. Ich ersuche sie aber, sich kurz zu fassen.

Verteidiger [Rechtsanwalt Kurt Rosenfeld]: Ich muß darum bitten, daß die Redefreiheit der Angeklagten nicht beschränkt wird.

Vorsitzender: Ich wollte nur Wiederholungen vorbeugen.

Rosa Luxemburg: Herr Gerichtspräsident, ich pflege mich auch sonst nicht zu wiederholen. Ich will nur, nachdem mein Verteidiger die juristischen Gesichtspunkte hervorgehoben hat, einige Ausführungen über meine in meiner Partei allgemeine Auffassung in der Frage des Massenstreiks und der Gewaltanwendung machen. Zunächst eine Bemerkung über das letzte Argument des Herrn Staatsanwalts. Ich muß offen sagen, daß ich geradezu erstaunt war über den Leichtsinn, mit dem ein offizieller Vertreter des Rechts einer Dreimillionenpartei, wie die Sozialdemokratie, die Schuld bei solchen Vorgängen wie die Hamburger Straßenkrawalle[2] unterschieben kann.

Der Vorsitzende unterbricht die Angeklagte, um den Ausdruck Leichtsinn zu rügen und warnt sie vor dergleichen Äußerungen, die der Sache gar nicht dienlich seien.

Rosa Luxemburg: Ich glaube aber gerade auf die, sagen wir, Leichtigkeit hinweisen zu müssen, mit der der Staatsanwalt uns, entgegen einer ausdrücklichen gerichtlichen Fest-

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[1] Unter dieser Überschrift erschien in der 2. Beilage des Vorwärts ein Bericht über den gesamten Prozeß, in dem ihre Verteidigungsrede viel ausführlicher und anders wiedergegeben wird als in der LVZ, die für die GW, Bd. 2, S. 188 f. als Quelle genommen worden ist. Auch im Hamburger Echo, Nr. 291 vom 14. Dezember 1906, erschien ein ähnlich ausführlicher Bericht.

Rosa Luxemburg war nach ihrer Rede über den politischen Massenstreik auf dem Jenaer Parteitag 1905 wegen „Aufreizung zu Gewalttätigkeiten“ angeklagt worden. Vom Landgericht Weimar wurde sie am 12. Dezember 1906 zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, die sie vom 12. Juni bis zum 12. August im Berliner Frauengefängnis in der Barnimstraße 10 verbringen mußte.

[2] In Hamburg hatten am 17. Januar 1906 80000 Arbeiter die Arbeit niedergelegt, um in Versammlungen und mit Straßendemonstrationen gegen die Einschränkung des Bürgerschaftswahlrechts zu protestieren. Es war der erste politische Massenstreik in Deutschland. Dabei war es zu Zusammenstößen zwischen Arbeitern und der Polizei gekommen.