Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 661

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/661

Die Revolution in Rußland

[1]

Kriegszustand in Kronstadt

Nach den „Beruhigungs“-Nachrichten des offiziösen Telegraphen kommt die folgende amtliche Nachricht: Petersburg, 10. November. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur.) Über Kronstadt ist heute der Kriegszustand verhängt worden.

Der Aufruhr in der Marine dehnt sich aus

London, 11. November. Nach hier aus Petersburg eingetroffenen Meldungen soll unter den garnisonierenden 14. und 18. Matrosen-Equipagen eine Revolution ausgebrochen sein. Infolgedessen haben Gardetruppen die Kasernen der Matrosen besetzt.

Der „Daily Mail“ meldet: Petersburg, 10. November. Bei den Kämpfen in Kronstadt kamen über 300 Menschen in den Flammen um. Die Zahl der Verwundeten beträgt gegen 1500.

Kriegszustand in Polen

Petersburg, 10. November. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Es ist beschlossen worden, im ganzen Gebiete des Königreichs Polen den Kriegszustand zu erklären.

Alle Schulen geschlossen

Petersburg, 10. November. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) In sämtlichen russischen Städten sind die Universitäten und alle Hochschulen geschlossen. Das Unterrichtsministerium gibt dazu bekannt, daß der Zeitpunkt der Wiedereröffnung noch nicht festgesetzt werden könne. Auch die Mittelschulen werden für unbestimmte Zeit geschlossen werden.

Metzelei gegen Gefangene

Kischinjow, 11. November. In der letzten Nacht kam es zu einer Meuterei im hiesigen Gefängnis, in deren Verlauf das Gefängnis in Brand gesteckt wurde. Herbeigeeilte Truppen gaben auf die meuternden Sträflinge eine Salve ab, bei der mehrere Sträflinge getötet und viele verwundet wurden.

Nächste Seite »



[1] Dieser Artikel erschien in der von Rosa Luxemburg im „Vorwärts“ gestalteten Rubrik „Die Revolution in Rußland“. Der Artikel ist nicht gezeichnet, Rosa Luxemburg ist aber gewiß der Autor. Es entsprach den Vereinbarungen mit dem Parteivorstand vom 23. Oktober 1905, über die sie an Leo Jogiches am 24./25. Oktober 1905 schrieb: „Wie Du siehst, müssen wir schon damit rechnen, daß ich ab 1. XI. diese zwei Leitartikel für den ‚Vorwärts‘ auf dem Halse habe, aber bestimmt noch weit mehr, denn K. K. [Karl Kautsky] fordert z. B., daß ich, wenn auch nur von zu Hause aus (durch Notizen), den russischen Teil leite, also wird es ziemlich viel Arbeit geben!“ GB, Bd. 2, S. 215. Kautsky wurde in seiner Ansicht in einem Brief von August Bebel vom 26. Oktober 1905 bestärkt. Siehe August Bebels Briefwechsel mit Karl Kautsky, Assen 1971, S. 172 f. Rosa Luxemburg avancierte zur leitenden politischen Redakteurin, d. h. zur Chefredakteurin des „Vorwärts“, und gestaltete ab Ende Oktober die Rubrik „Die Revolution in Rußland“. Am 1. November 1905 teilte sie Leo Jogiches mit: „Ich bin nämlich seit gestern täglich im ‚Vorwärts‘ beschäftigt, und zwar schon ab 4 Uhr nachmittags. Es erweist sich – der Karren steckt im Dreck, und ich muß energisch helfen. Gestern schrieb ich dort an Ort und Stelle den Leitartikel und habe alle Telegramme über Rußland bearbeitet. Heute gehe ich wieder den Leitartikel schreiben und Rußland.“ Über das Honorar habe „der Vorstand beschlossen: 20 M für Leitartikel und 5 M täglich für Rußland, kurze Notizen 10 Pf je Zeile“. Das ergäbe etwa 350 M im Monat. GB, Bd. 2, S. 228 und 235.