Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 533

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Die Revolution in Rußland

[1]

Über die Zahl der Opfer in Warschau schwanken die Angaben noch außerordentlich. Nach einer als abschließend bezeichneten Meldung des „B[erliner] H[andelsblattes]“ sind 62 Personen getötet und etwa 200 verwundet. In der Nacht zum Mittwoch wurden 31 Leichen aus dem Polizeiamt nach dem Friedhof gebracht und beerdigt; nicht einmal in Särge hat die christliche Behörde des Zarismus die Gemordeten gebettet.

Die Erregung in Warschau ist andauernd überaus groß. Man erwartet die Antwort der Gewalt gegen diejenigen Offiziere, welche den Truppen den Befehl zum Schießen erteilten. Am Mittwoch fanden einige geringfügigere Zusammenstöße zwischen Arbeitern und Polizei statt. In der Hozastraße wurde ein Oberschutzmann durch Revolverschüsse schwer verwundet. Zeitungen sind zumeist nicht erschienen, die Fabriken stehen still. Wie „Kurier Warszawski“ meldet, hat die Leitung der Sozialdemokratischen Partei von Polen und Litauen wegen des Blutvergießens eine Kundgebung erlassen, in der der sofortige Generalstreik erklärt wird.

Auch in Łódź dauert der Kriegszustand fort. Am Dienstag wurden vier Personen, darunter zwei Jüdinnen, getötet, drei verwundet. Ein Spion wurde durch die Menge erdolcht. Vom 3. Mai meldet „W.T.B.“[2] aus Łódź:

Der Polizeirevieraufseher Poniatowski wurde heute früh auf offener Straße durch vier Schüsse, die mehrere Personen auf ihn abgaben, tödlich verwundet.

Moskau, 3. Mai. Gestern Abend begann eine große Volksmenge auf dem Petrowski-Boulevard ein Restaurant zu zerstören, in das sich ein Revieraufseher, der einen Schlag ins Gesicht erhalten hatte, zurückgezogen hatte, indem er die Menge mit blanker Waffe von sich abwehrte. Die Menge warf die Scheiben ein und hob die Türen aus, während die Gäste des Restaurants in wilder Angst flüchteten. Berittene Gendarmen stellten die Ordnung wieder her.

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[1] Dieser Bericht ist nicht gezeichnet. Aus Rosa Luxemburgs Brief an Leo Jogiches vom 3. Mai 1905 geht hervor, daß sie wahrscheinlich die Meldungen zusammengestellt, bearbeitet und kommentiert hat, siehe GB, Bd. 2, S. 86.

[2] Wolffs Telegraphisches Büro.