Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 912

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Dr. Heidenreich verlangte nicht bloß, daß der sozialdemokratische Schriftführer die Repräsentation im Schloß mitmacht, er fordert vielmehr, daß er auch bei Hofe auf den Großherzog mithoche und seine Partei veranlasse, bei diesen Hochs ebenfalls mitzumachen und nicht den Saal zu verlassen. Ulrich erklärte den Herren, daß er sich eine derartige Zumutung verbitten müsse, daß er eine Beleidigung in derselben sehe und dem Herrn Heidenreich, wenn er dieselbe an einer anderen Stelle aussprechen würde, eine keineswegs parlamentarische Antwort erteilen würde. Pennrich fand die Forderung Heidenreichs, daß man die Wahl eines Sozialdemokraten als Schriftführer davon abhängig machen wollte von der Teilnahme der Sozialdemokraten am Hoch auf den Großherzog, für eine zu starke Zumutung, während der Herr v. Brentano diese Zumutung gar nicht als Beleidigung auffassen zu können erklärte, vielmehr meinte, da unsere Staatsform nun einmal monarchisch sei und die Sozialdemokraten alle Wohltaten derselben mit genießen könnten, so seien sie eigentlich auch verpflichtet, durch das Hoch diese Staatsform anzuerkennen. Genosse Ulrich erklärte darauf, die Auffassung Brentanos müsse er zurückweisen. Er sei als Republikaner gewählt und werde keinen Augenblick Zweifel darüber aufkommen lassen, daß er der Alte geblieben.

Die Folge war, daß kein Sozialdemokrat in das Büro gewählt wurde. Unsere hessischen Genossen werden diesen Schmerz zu tragen wissen!

Das „Kommunistische Manifes“ unter Anklage

Wegen vermeintlicher Aufreizung zu Gewalttätigkeiten ist die Genossin Rosa Luxemburg vor dem Amtsgericht Berlin II verantwortlich vernommen worden. Die Staatsanwaltschaft zu Weimar glaubt in der Rede, die Genossin Luxemburg auf dem Jenenser Parteitag zur Frage des Massenstreiks gehalten hat, insbesondere in dem Zitat aus dem Kommunistischen Manifest eine strafbare Aufforderung verschiedener Klassen zu Gewalttätigkeiten gegeneinander[1] entdeckt zu haben.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 300 vom 23. Dezember 1905.

[Sisyphusarbeit – eine üble Verleumdung]

„Der Grundstein“ Nr. 51 bringt einen langen Artikel, worin er mit großem Lärm und Kraftaufwand zu beweisen versucht, daß der „Vorwärts“ „verleumdet“. Die „Verleumdung“ soll darin bestehen, daß wir dem „Grundsein“ seine Hetze gegen die Partei vorgeworfen haben, die er zuletzt in dem Artikel „Der Radikalismus an der Arbeit“ getrieben. Höchst entrüstet ist der „Grundstein“ darüber, wie es ja alle die Gewerk-

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[1] Rosa Luxemburg hatte in einer ihrer Reden auf dem Jenaer Parteitag 1905 frei aus dem Endpassus des „Kommunistischen Manifests“ zitiert: Die Arbeiter haben nichts zu verlieren als ihre Ketten, aber eine Welt zu gewinnen. Siehe MEW, Bd. 4, S. 393 und GW, Bd. 1, 2. Halbbd., S. 603.