Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 607

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Kannegießereien

[1]

Man schreibt uns: Der „Vorwärts“ hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der von der bürgerlichen Presse, wie üblich, aufgegriffene Artikel Calwers in den „Monatsheften“[2] wortgetreu die Argumentation der bürgerlichen Militär- und Wasserpatrioten wiederholt, wenn er auch, wiederum wie üblich, die Schlußfolgerungen aus dieser Beweisführung zu ziehen unterläßt. Das Bezeichnende bei der ganzen Gedankenrichtung des „revidierten“ Marxismus ist ja nicht die direkte Ablehnung der Programmsätze und der Forderungen der Sozialdemokratie, sondern die Preisgabe der spezifischen Denkweise und Weltanschauung, aus der heraus die Ziele der Sozialdemokratie vom marxistischen Standpunkt wissenschaftlich begründet werden. Und gerade darin besteht ja das Gefährliche dieser Geistesrichtung, daß sie die programmatischen Forderungen der Partei auf eine neue, „revidierte“ Basis stellt, mit der sie aber in vollständigem Widerspruch stehen und auf der sie unvermeidlich selbst in die Brüche gehen müssen. Der Calwersche Artikel, den übrigens, trotz des schlagenden Widerspruches, in dem er zu der ganzen Auffassung der Partei und namentlich zu der Haltung unserer Fraktion im Reichstag steht, die „Münchener Post“ an leitender Stelle, ohne jeden Vorbehalt abdruckt, dieser Artikel ist selbst der beste Beweis für das Gesagte.

Calwer behauptet, man könne „dem eigenen Lande nicht zumuten“, daß es aufhöre zu rüsten, während andere Länder dem Militarismus und Marinismus frönen.[3] Er bemerkt nicht, daß dies wörtlich dasselbe Argument ist, mit dem sich z. B. auch jedes „nationale“ Unternehmertum herausredet, wenn ihm die Arbeiter die Forderung des Achtstundentages stellen. „Hannemann, geh’ du voran“ – das Ausland soll erst anfangen, sonst geht das „Vaterland“ bankrott, dies ist die bekannte Ausflucht der bürgerlichen Klassen und der kapitalistischen Staaten auch gegenüber jeder Forderung einer halbwegs durchgreifenden Sozialreform. Was wir, als internationale Sozialdemokratie, jedes Mal und bisher mit Erfolg diesen elenden Ausflüchten einer „kapitalistischen Vaterlandsliebe“ entgegenhalten, ist, daß wir selbstverständlich gerade

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[1] Dieser Artikel ist nicht gezeichnet. Nach Rosa Luxemburgs Brief an Leo Jogiches vom 2. November 1905 ist sie die Verfasserin, siehe GB, Bd. 2, S. 229. In der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), ist er unter Nr. 362 ausgewiesen.

[2] Siehe Richard Calwer: Englands Absichten und die deutsche Sozialdemokratie. In: Sozialistische Monatshefte, 11. Heft, November 1905, S. 919 ff.

[3] Ebenda, S. 920.