Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 606

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gebracht, und doch hat es bereits förmlich über Nacht eine merkliche Verschiebung in der Situation, in der Konstellation auf dem Kampfplatz herbeigeführt. Aus allen Teilnachrichten, die aus dem Reiche der blutigen Verfassungsmanifeste kommen, entsteht ein ungefähres Bild der Sachlage, aus dem man, durch den Instinkt des Kämpfers und die geschichtlichen Erfahrungen geleitet, schließen muß: Die revolutionäre Freiheitsbewegung in Rußland steht vor einer tiefernsten entscheidenden Stunde. Das unter Gewehrgeknatter mordender Zarenschergen verkündete Verfassungsmanifest wird von den liberalen Elementen dazu benutzt werden, um unter dem Losungswort: Ruhe und Ordnung die Arbeiterbewegung im Stiche zu lassen, ja, morgen schon vielleicht unter der Führung des „liberalen“ Premiers im Blute zu ersticken. Die gesamte bürgerliche Gesellschaft, mit wenigen Ausnahmen, wird das Manifest zum Vorwand nehmen, um nach dem bewährten Rezept unserer deutschen „Siegeskläffer“ des Liberalismus „zu hoffen und zu harren“. Den weiteren Weg muß nun die revolutionäre Arbeiterklasse in Rußland wohl ganz allein marschieren, nur auf sich selbst, auf die eigene Kraft, eigene Entschlossenheit, eigene Beharrlichkeit, eigene Unentwegtheit und Unerschrockenheit bauend. In diesem Augenblick heißt es für das klassenbewußte Proletariat im Zarenreich, wie für das kämpfende Proletariat stets und überall: Das Pulver trocken, das Schwert geschliffen!

Vorwärts (Berlin),

Nr. 257 vom 2. November 1905.

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