Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 802

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Die Revolution in Rußland

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Das Ideal der „Kreuz-Zeitung“ erfüllt

Für die nächsten Tage wird die Veröffentlichung eines neuen Streikgesetzes erwartet.

Das neue Streikgesetz läßt, wie es heißt, wirtschaftliche, aber keine politischen Streiks zu und setzt Strafen für die Anstifter fest, sowie Vergünstigungen für Arbeitswillige, welche sich einem Streik nicht anschließen. Den Staatsbeamten ist die Beteiligung an einem Streik „unbedingt untersagt“.

Der Zarismus begreift immer noch nicht, daß sich kein Mensch mehr um seine Erlaubnis und sein Verbot kümmert!

Die Flickarbeit des Absolutismus

Petersburg, 14. Dezember. (Über Eydtkuhnen Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Der Ministerrat beendigte heute die Beratungen über das Gesetz betr. die Arbeitervereine. Diese Vereine können nach dem von dem Ministerrat beschlossenen Gesetz fortan nur noch im gerichtlichen Verfahren, also nicht mehr wie bisher auf administrativem Wege, durch den Minister des Innern, die Gouverneure, die Polizei usw., aufgelöst oder geschlossen werden. Das Gesetz hat zunächst provisorischen Charakter und wird in der nächsten Woche zugleich mit dem allgemeinen Gesetz über das Vereinsrecht zur Veröffentlichung gelangen.

Petersburg, 13. Dezember. (Über Eydtkuhnen.) Der „Regierungsbote“ meldet, das fertig gestellte neue Wahlgesetz werde demnächst dem Zaren vorgelegt werden.

Militärrevolten

Moskauer Blätter berichten von einer Gärung unter dem dortigen Reserve-Sappeurbataillon, in den Artilleriekasernen, in der Garnison Kursk und unter den Reservetruppen in Sibirien. In Irkutsk weigere sich die Mannschaft, Wachdienst zu tun. Das Moskauer Blatt „Nascha Shisn“ [Unser Leben] meldet: In Kiew dauert die Gärung unter den Truppen fort. Auf den Straßen fraternisieren die Mannschaften mit den Studenten und Arbeitern und bitten das Volk um Verzeihung, weil sie während der Unruhen auf dasselbe gefeuert haben. Zwei Regimenter hielten unter den Klängen

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[1] Dieser Artikel erschien in der von Rosa Luxemburg im „Vorwärts“ gestalteten Rubrik „Die Revolution in Rußland“. Der Artikel ist nicht gezeichnet, Rosa Luxemburg ist aber gewiß der Autor. Es entsprach den Vereinbarungen mit dem Parteivorstand vom 23. Oktober 1905, über die sie an Leo Jogiches am 24./25. Oktober 1905 schrieb: „Wie Du siehst, müssen wir schon damit rechnen, daß ich ab 1. XI. diese zwei Leitartikel für den ‚Vorwärts‘ auf dem Halse habe, aber bestimmt noch weit mehr, denn K. K. [Karl Kautsky] fordert z. B., daß ich, wenn auch nur von zu Hause aus (durch Notizen), den russischen Teil leite, also wird es ziemlich viel Arbeit geben!“ GB, Bd. 2, S. 215. Kautsky wurde in seiner Ansicht in einem Brief von August Bebel vom 26. Oktober 1905 bestärkt. Siehe August Bebels Briefwechsel mit Karl Kautsky, Assen 1971, S. 172 f. Rosa Luxemburg avancierte zur leitenden politischen Redakteurin, d. h. zur Chefredakteurin des „Vorwärts“, und gestaltete ab Ende Oktober die Rubrik „Die Revolution in Rußland“. Am 1. November 1905 teilte sie Leo Jogiches mit: „Ich bin nämlich seit gestern täglich im ‚Vorwärts‘ beschäftigt, und zwar schon ab 4 Uhr nachmittags. Es erweist sich – der Karren steckt im Dreck, und ich muß energisch helfen. Gestern schrieb ich dort an Ort und Stelle den Leitartikel und habe alle Telegramme über Rußland bearbeitet. Heute gehe ich wieder den Leitartikel schreiben und Rußland.“ Über das Honorar habe „der Vorstand beschlossen: 20 M für Leitartikel und 5 M täglich für Rußland, kurze Notizen 10 Pf je Zeile“. – In der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), ist er unter Nr. 383 verzeichnet.