Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 753

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Die Revolution in Rußland

[1]

Die glorreiche Schlacht

Der Petersburger Marinestab veröffentlicht folgendes Telegramm, das der Kriegsminister gestern von dem Kommandanten des Militärbezirks Odessa, dem Vize-Admiral Tschuchnin, erhalten hat, der unter dem 29. November folgendes meldet: Am 28. November stand eine kampflose Erledigung der Meuterei in Aussicht. Wir umstellten die meuternde Abteilung mit Truppen und stellten ihnen eine letzte Frist, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Meuterer eröffneten jedoch den Angriff, indem sie sich des Torpedobootzerstörers „Swirepy“ [Der Grimmige] Und drei anderer Torpedoboote bemächtigten, die sich dem „Otschakow“ näherten. Alle diese Schiffe und der „Otschakow“ hißten die rote Flagge. Darauf hißte der „Otschakow“ das Signal: „Schmidt befehligt die Flotte“. Hierauf ging Schmidt an Bord des Torpedobootzerstörers „Swirepy“ und fuhr unter Hurrarufen vor der Front des Geschwaders entlang, ohne jedoch von dem Geschwader eine Antwort zu erhalten. Dann nahm Schmidt Fahrtrichtung nach dem Hafen und ließ die durch ihn verhafteten Personen wieder frei. Vormittags bemächtigten sich bewaffnete Abteilungen der Meuterer der kleinen Fahrzeuge im Hafen. Später wurde der Panzer „Panteleimon“ (der frühere „Potjomkin“), der aber abgerüstet war, von bewaffneten Abteilungen in Booten des Kreuzers „Otschakow“ in Besitz genommen. Die Offiziere wurden gefangen genommen und an Bord des „Otschakow“ gebracht. Man konnte gegen dieses Vorgehen der Meuterer nichts machen, da die Flotte auf Befehl des Kommandierenden des 7. Korps abgerüstet war. Nachmittags fanden weitere Vorstöße der Meuterer statt, und die Lage wurde noch ernster. Die Schiffe, die in der Südbucht vertäut lagen, wurden genommen und auf ihnen die rote Flagge gehißt. Man mußte nun den ersten Aktionsplan fallen lassen und entscheidende Maßregeln ergreifen. Von den Meuterern waren die gefangenen Offiziere an Bord des „Otschakow“ gebracht in der Hoffnung, daß man gegen so viele Offiziere nicht feuern würde. Schmidt erklärte den gefangenen Offizieren, daß, sobald von den Truppen Feindseligkeiten unternommen werden würden, er die Offiziere hängen lassen würde. Um 3½ Uhr wurde aus Feldgeschützen gegen die Schiffe, die sich in der Südbucht befanden und rote Flaggen gehißt hatten und gegen

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[1] Dieser Artikel erschien in der von Rosa Luxemburg im „Vorwärts“ gestalteten Rubrik „Die Revolution in Rußland“. Der Artikel ist nicht gezeichnet, Rosa Luxemburg ist aber gewiß der Autor. Es entsprach den Vereinbarungen mit dem Parteivorstand vom 23. Oktober 1905, über die sie an Leo Jogiches am 24./25. Oktober 1905 schrieb: „Wie Du siehst, müssen wir schon damit rechnen, daß ich ab 1. XI. diese zwei Leitartikel für den ‚Vorwärts‘ auf dem Halse habe, aber bestimmt noch weit mehr, denn K. K. [Karl Kautsky] fordert z. B., daß ich, wenn auch nur von zu Hause aus (durch Notizen), den russischen Teil leite, also wird es ziemlich viel Arbeit geben!“ GB, Bd. 2, S. 215. Kautsky wurde in seiner Ansicht in einem Brief von August Bebel vom 26. Oktober 1905 bestärkt. Siehe August Bebels Briefwechsel mit Karl Kautsky, Assen 1971, S. 172 f. Rosa Luxemburg avancierte zur leitenden politischen Redakteurin, d. h. zur Chefredakteurin des „Vorwärts“, und gestaltete ab Ende Oktober die Rubrik „Die Revolution in Rußland“. Am 1. November 1905 teilte sie Leo Jogiches mit: „Ich bin nämlich seit gestern täglich im ‚Vorwärts‘ beschäftigt, und zwar schon ab 4 Uhr nachmittags. Es erweist sich – der Karren steckt im Dreck, und ich muß energisch helfen. Gestern schrieb ich dort an Ort und Stelle den Leitartikel und habe alle Telegramme über Rußland bearbeitet. Heute gehe ich wieder den Leitartikel schreiben und Rußland.“ Über das Honorar habe „der Vorstand beschlossen: 20 M für Leitartikel und 5 M täglich für Rußland, kurze Notizen 10 Pf je Zeile“.