Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 486

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Auf Wahlkampftour in Sachsen im Juni 1903

[1]

I Nach einem Zeitungsbericht

Im 17. Wahlkreise greift für unsern erkrankten Genossen Auer die Genossin Luxemburg in überaus wirksamer Weise in den Wahlkampf ein. Die Rednerin, deren Versammlungen namentlich von Frauen sehr zahlreich besucht sind, bespricht die politischen Verhältnisse so scharf, daß es selbst den überwachenden Beamten unheimlich wird. Am Sonnabend sprach unsere Genossin in Glauchau. Als sie die Pumpwirtschaft im Deutschen Reiche erläuterte und dabei bemerkte, daß das Steigen der Schulden unter dem jetzigen Kaiser besonders auffällig sei, fand es der Herr Überwachende für gut, den Vorsitzenden aufzufordern, die Rednerin zu veranlassen, den Kaiser aus dem Spiele zu lassen. Das gab Anlaß zu einem kleinen Renkontre zwischen dem Überwachenden und der Referentin, aus welchem die Letztere als der beschlagnere Teil hervorging. Nicht so günstig verlief eine Versammlung am Sonntag in Mülsen-St. Niklas im Freien. Als die Referentin die Worte des Kaisers von der guten und gesicherten Existenz der deutschen Arbeiter zitierte, wurde ihr das Wort entzogen.[2] Die Referentin erklärte, dazu liege gar kein Grund vor. Darauf wurde die Versammlung aufgelöst. Mit der Auflösung wurde nur erreicht, daß die Versammelten, die hier wie die Mauern dicht zusammenstanden, vom lebhaftesten Unwillen erfüllt auseinandergingen. Am Montag sprach die Genossin Luxemburg in Meerane. Zu gleicher Zeit tagte hier eine andere Versammlung, in der die Genossin Steinbach-Hamburg referierte. In beiden Versammlungen ernteten die Rednerinnen stürmischen Beifall.[3]

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 131 vom 11. Juni 1903.

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[1] Überschrift der Redaktion.

[2] Siehe S. 482, Fußnote 5.

[3] Nach ihren Briefen an Leo Jogiches dauerte ihre Agitationstour vom 5. bis 15. Juni 1903. In Chemnitz nahm sie im Carola-Hotel Quartier, von wo aus sie zu den Versammlungen fahren wollte. Auf die Rückseite ihres Telegramms vom 15. Juni, auf dem sie Jogiches „Komme 6 Uhr früh Anhalter“ mitteilte, zeichnete sie ihre Agitationstour wie folgt auf:

Berlin – Chemnitz
Chemnitz – Hohenstein u. retour
Chemnitz – Lichtenstein u. retour
Chemnitz – Glauchau
Glauchau – Mülsen u. retour
Glauchau – Meerane u. retour
Glauchau – Oberlungwitz u. retour
Glauchau – Gersdorf
Gersdorf – Markneukirchen
Markneukirchen – Plauen
Plauen – Adorf
Adorf – Oelsnitz
Oelsnitz – Berlin
(Siehe GB, Bd. 2, S. 29 – 35.)

Ihr Verteidiger, Dr. Siegfried Loewenberg, gab im Prozeß vor dem Zwickauer Landgericht am 17. Januar 1904 12 Wählerversammlungen in Sachsen an. (Vorwärts Nr. 15 vom 19. Januar 1904.)