und wählt am Tage der Wahl, am 16. Juni: „Einer für alle, und alle für einen.“ den Reichstagskandidaten Gogowski!
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Werte Anwesende, es ist mir gesagt worden, daß sich unter Ihnen polnische Arbeiter befinden. Bevor ich in deutscher Sprache fortfahre, so wollen sie mir erlauben, daß ich an meine Landsleute ein paar Worte in der Muttersprache spreche. […]
Verehrte Landsleute, es freut mich, daß ich auch zu Euch in unserer Muttersprache sprechen kann und an Euch die Mahnung richten kann, Eurer [Pflicht] bewußt zu sein und Eure Stimme keinem Deutschen, sondern unserem polnischen Kandidaten, Herrn Josef Gogowski aus Posen, bei der am 16. Juni stattfindenden Wahl zum Deutschen Reichstage zu geben. Nur Herr Gogowski ist der Mann, zu welchem Ihr das Vertrauen haben könnt, daß er Euere Interessen wahrnehmen wird.
Nach Schluß der polnischen Ansprache fährt Rednerin dann deutsch fort: Ich habe mich gefreut zu hören, daß auch Herren von den anderen Parteien der besseren Stände hier anwesend sind. So oft jedoch vom Vorstandstisch an Sie die Aufforderung gerichtet ist, uns Rede und Antwort zu stehen, haben Sie unserer Aufforderung nicht Folge geleistet; Sie haben es vielmehr vorgezogen, sich nicht an der Diskussion zu beteiligen. Wenn diese Herren beim Biertische sitzen, dann werden die Sozialdemokraten heruntergemacht; dann haben sie das große Wort, dann können sie sprechen. Hier können sie nicht sprechen; sie haben höchstens den Mut, uns ein „Pfui“ zuzurufen. Soeben hat ein einfacher Arbeiter gesprochen, so gut es eben ging, er hat wenigstens den Mut gehabt zu sprechen. Wenn er seine Ausführungen auch nicht in schöne Worte kleiden konnte. Diese Herren haben höhere Schulen besucht, manche sogar studiert, doch den Mut, ihre gute Aussprache zu gebrauchen, haben sie nicht. Der Mann, der hier durch bittere Not dazu veranlaßt wurde zu sprechen, er hat mir durch seine Schilderung ans Herz gegriffen! Dagegen hat seine Erzählung bei den anderen nur ein freches Lächeln hervorgerufen!!
Wer Recht hat, der kann das seinen Gegnern ruhig in das Gesicht sagen; aber man sage das nicht hinter dem Rücken, das ist freche Verleumdung!
Wir erstreben und wollen es verwirklichen, daß der, der den Namen „Bürger“ im Deutschen Reiche trägt, auch ein menschenwürdiges Dasein führt. Sie haben nun Ihr eigenes Schicksal in der Hand. Wenn Sie am 16. Juni für fünf Jahre wählen, dann denken Sie, daß unsere Losung ist: „Nieder mit den Mehrzöllen und mit der Junkerklasse. Es lebe die Volksklasse, die Sozialdemokratie!“
Kopie einer Abschrift aus den Akten des Polizeipräsidiums Posen, Signatur 2681, S. 95-107, aus dem ehemaligen Historischen Parteiarchiv beim ZK der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, Warschau, Abteilung Rosa Luxemburg, Persönliche Dokumente 1887–1916, Signatur: 63/I t. 1.