Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 146

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Der 16. Nationalkongreß der Französischen Arbeiterpartei

(sog. Guesdisten und Marxisten)[1]

findet vom 17. bis 20. September in Montluçon statt. Als Tagesordnung für die Kongreßarbeiten ist festgesetzt: 1. Die Lage der Partei (allgemeiner Situationsbericht des Nationalrates und Berichte über die Entwicklung und Tätigkeit der vertretenen Organisationen). 2. Die letzten Legislativwahlen und ihre Folgen. (Antrag betreffend die Einigung der sozialistischen Fraktionen; Antrag, die Sicherung des Wahlrechts betr. etc.) 3. Die Vertreter der Partei in der Kammer und im Lande. 4. Antisemitismus und Nationalismus. 5. Die Organisation der Partei, ihre Agitation und die Mittel, diese wirksamer zu gestalten. Am letzten Tage des Kongresses findet die Jahresversammlung der Föderation der Gemeinderäte statt, welche der Arbeiterpartei angehören.

Der Antrag des „Nationalrates“ (Parteileitung) der Arbeiterpartei, welcher sich auf die Einigung aller sozialistischen Fraktionen[2] bezieht, lautet wie folgt: 1. Zwischen der „Französischen Arbeiterpartei“, dem „Revolutionären Zentralkomitee“ (Blanquisten), der „Föderation der sozialistischen Arbeiter“ (Broussisten), der „Sozialistisch-revolutionären Arbeiterpartei“ (Allemanisten) und den sog. Unabhängigen Sozialisten wird eine „Zentralunion“ begründet, ohne daß in der inneren Organisation und dem Charakter dieser verschiedenen Fraktionen und bezüglich der Art ihrer Agitation eine Änderung eintritt. Um der „Zentralunion“ beitreten zu können, müssen die „Unabhängigen Sozialisten“ sich zuvor unter sich verständigen und sich organisieren auf der Grundlage des Minimum-Programms, das Programm von Saint-Mandé genannt. (Dieses Programm, das Millerand seinerzeit formulierte und das die Grundlage für das Zusammenwirken aller sozialistischen Abgeordneten in der letzten Kammer war oder wenigstens sein sollte, legte folgende drei Punkte fest: 1. Vergesellschaftung aller Produktionsmittel. 2. Eroberung der politischen Macht durch das als

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[1] Die Notiz ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen, versehen. An Leo Jogiches hatte Rosa Luxemburg am 10. Juli 1898 geschrieben: „Mit Parvus [Redakteur der SAZ] habe ich die Beziehungen aufs beste hergestellt: Ich schreibe solche Notizen für ihn, wie Du sie dort hast, über Polen, Frankreich und Belgien. Sie geben mir 30 M im Quartal für das Zeitschriftenabonnement! Natürlich neben dem Honorar.“ Bei Gelegenheit wünsche er solche Notizen auch über England, Italien und die Türkei. Siehe GB, Bd. 1, S. 171. – Auf dem Marseiller Parteitag 1879 war von Anhängern der marxistischen (kollektivistischen) Richtung die Parti ouvrier français (Französische Arbeiterpartei) gegründet worden. Infolge ideologischer Auseinandersetzungen spaltete sich die Partei 1882 in Marxisten (Guesdisten) und Possibilisten. Die Guesdisten (Kollektivisten) behielten die Bezeichnung Parti ouvrier français bei.

[2] Die französische sozialistische Bewegung wies in den 90er Jahren des 19. Jh. eine kollektivistische, marxistische (Guesdisten), eine possibilistische, kleinbürgerlich-reformistische (Broussisten), eine blanquistische, sektiererische (Blanquisten), eine anarcho-syndikalistische (Allemanisten) und eine „unabhängige“ sozialreformerische (Jaurèsisten) Strömung auf.