Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 117

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Aus Posen

[1]

Es wird fortgermanisiert. Die preußische Regierung will nichts lernen und nichts vergessen; sie will nämlich immer noch nicht lernen, daß das System kleinlicher Schikanen und erbärmlicher Kleinigkeiten in Anwendung auf eine Million zählende Bevölkerung alles andere erzielt, nur nicht – diese Regierung bei ihr beliebt zu machen. Dem guten Werke des Evangeliums des Hasses in den polnischen Provinzen dienen[2] vor allem die deutschen Diener Christi – die katholischen Geistlichen. Aus Danzig wurde neulich nach Rom wieder ein Protest gegen die Abhaltung polnischer Predigten in der St. Nicolaus-Kirche geschickt; die polnische Presse vermutet in dem Danziger Pfarrer Schermer den Verfasser des edlen Schriftstückes. – Auch die Schule ist zum Schauplatz ununterbrochener Reibungen und Gehässigkeiten geworden. In den letzten Tagen wurde wieder eine Reihe von Fällen von den Gerichten verhandelt. Da hat man z. B. den Kindern eines Polen Skowron in Krosnowo, trotz aller Proteste des Vaters, in der Schule den Religionsunterricht in deutscher Sprache erteilen wollen. Der Vater, gereizt durch die aufgezwungene Beglückung seiner Kinder mit dem deutschen Unterricht, ließ sich zu Beleidigungen gegen den Lehrer hinreißen und wurde richtig von dem Gericht zu hoher Strafe verurteilt. – Gleichzeitig trägt die Regierung auch in die Pflege der Wissenschaft den „nationalen“ Guerillakrieg hinein, das Verbot der Teilnahme von „Ausländern“ an dem polnischen Ärztetag in Posen hat natürlich eine große Bestürzung in der polnischen Bevölkerung hervorgerufen. Ob man wohl einen bewaffneten Aufstand mit chirurgischen Messern seitens der harmlosen Äsculapen befürchtete? Man konnte wegen der „preußisch-deutschen Integrität“ wirklich ruhig sein, die polnische bürgerliche Intelligenz wird, auch wenn sie aus allen drei Landesteilen zusammenkommt, um kein Haar nationalistischer, als sie in jedem Teile für sich ist; drei Philister zusammen genommen machen noch lange keinen Revolutionär aus. Sollte doch auf dem Ärztetag gerade der alte Lakai Dr. Ignaz Bara

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[1] Der Artikel erschien anonym, laut RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), Nr. 58, war er nur mit einem ? gekennzeichnet. An Leo Jogiches hatte Rosa Luxemburg am 10. Juli 1898 geschrieben: „Mit Parvus [Redakteur der Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden)] habe ich die Beziehungen aufs beste hergestellt: Ich schreibe solche Notizen für ihn, wie Du sie dort hast, über Polen, Frankreich und Belgien. Sie geben mir 30 M im Quartal für das Zeitschriftenabonnement! Natürlich neben dem Honorar.“ Bei Gelegenheit wünsche er solche Notizen auch über England, Italien und die Türkei. Siehe GB, Bd. 1, S. 171.

[2] In der Quelle: bieten.