Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 878

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schen Arbeiterbewegung erwarb, kämpft jetzt der Arbeiterklasse Rußlands voran. Und er braucht sich nicht mehr vor den Häschern des Zaren zu verbergen, wie die sozialdemokratische Presse nicht mehr im Dunkel versteckter Kellerwinkel hergestellt wird. Die Pressefreiheit ist erobert, ob[wohl] sie auch noch nicht gesetzlich kodifiziert ist, und der Sozialdemokrat ist trotz allen Wütens der Reaktion nicht mehr das Freiwild der Tschinowniks.

Von einem deutschen Gericht wurden einst deutsche Männer verurteilt, weil sie russischen Revolutionären umstürzlerische Blätter nach Rußland hatten einschmuggeln helfen.[1] Künftig werden deutsche Behörden solche Liebesdienste nicht mehr leisten können. Denn die umstürzlerische Presse steht jetzt im Herzen des Zarenreichs. Die russische Revolution behütet uns vor der Wiederholung Königsberger Schmach!

Kleingläubige verzweifeln an dem Sieg der russischen Revolution. Sind ihre Erfolge nicht schon von gewaltiger Größe? Hat sie nicht schon eine Wandlung bewirkt, die ihresgleichen sucht! Und das Ende dieser großen Umwälzung ist noch nicht gekommen!

Wir senden dem ehemaligen Leiter unseres Blattes über die Grenze unsere Kampfesgrüße. Möge ihm im Heimatlande ebenso fruchtbringende Tätigkeit beschert sein wie einst in Deutschland. Möge er in den Reihen der russischen Genossen vorschreiten von Markstein zu Markstein der Revolution!

[Hetze gegen die Sozialdemokratie]

„Der Zimmerer“, das Organ des Zentralverbandes der Zimmerer, druckt in seiner neuesten Nummer die Kundgebung der Genossen Frohme, v. Elm und Lesche zur Frage des Massenstreiks[2] mit der folgenden Einleitung ab: „Gegen die antiparlamentarische und antigewerkschaftliche Propaganda, die seit dem Jenaer Parteitage von der sozialdemokratischen Parteileitung ganz offensichtlich gefördert wird, veröffentlichen drei sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, deren Namen in Arbeiterkreisen einen guten Klang haben, im „Hamburger Echo“ die nachstehende Erklärung.“

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[1] Vom 12. bis 25. Juli 1904 fand in Königsberg ein Prozeß gegen neun deutsche Sozialdemokraten statt, die wegen des Transportes illegaler, gegen den Zarismus gerichteter Schriften nach Rußland angeklagt wurden. Karl Liebknecht als einer der Verteidiger entlarvte vor allem die Zusammenarbeit der preußischen und russischen Geheimpolizei. Zusammen mit Hugo Haase, Ernst Fleischmann und weiteren Rechtsanwälten erreichte er, daß das Gericht am 25. Juli 1904 die neun Angeklagten von der Anklage des Hochverrats und der Zarenbeleidigung frei sprechen mußte. Drei Angeklagte wurden wegen „Geheimbündelei“ verurteilt.

[2] Gemeint ist die Zuschrift von Adolph von Elm, Karl Frohme und Friedrich Lesche vom 23. November 1905 an das Hamburger Echo. Sie betrachten sich als diejenigen, die im Sinne der Jenaer Massenstreikresolution und der Mehrheitsauffassung in der Partei handeln, wenn sie die neue Richtung, wie sie die revolutionären Sozialdemokraten einschließlich Rosa Luxemburgs nennen, einer „für die Partei geradezu verderblichen Revolutionsromantik“ bezichtigen. Sie behaupten, die Linken suchten die Jenaer Massenstreikresolution dahin zu deuten, „als sei die Partei auf den politischen Massenstreik bereits derart festgelegt, daß man sich auf ihn allen Ernstes heute oder morgen schon einzurichten habe und jeden, der ihre Revolutionsromantik nicht mitmacht, als ‚Flaumacher‘, als Revisionist, als ‚Verhöhner des revolutionären Geistes‘ in der Partei, als ‚Auch-Sozialist‘ verdächtigt und ihn dadurch in der Wirksamkeit seiner Tätigkeit in der Arbeiterbewegung lahmzulegen sucht“. Sie unterstellen der neuen Richtung, insbesondere Rosa Luxemburg, die gewerkschaftliche Arbeit als „Sisyphusarbeit“ abzutun und die parlamentarische Arbeit zu entwerten. Siehe Hamburger Echo Nr. 275 vom 24. November 1905.