Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 901

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Demonstration und Organisation

Das „Volksblatt für Anhalt“ erwidert auf unsere Bemerkungen zu seinem Artikel unter dem obigen Thema[1] das Folgende: Wir möchten den „Vorwärts“ nur darauf aufmerksam machen, daß die Parallele zwischen Rußland und Deutschland doch ihre starke Begrenzung hat. Der russische Massenstreik wird unter Zustimmung des Bürgertums, ja sogar unter materieller Unterstützung durch Auszahlung des Lohnes während des Streiks geführt: Bei uns in Deutschland steht das Proletariat ganz allein da.

Wir leugnen durchaus nicht das aufrüttelnde Moment aller Massenaktionen, aber wir bleiben dabei, daß vor wie nach der Massenaktion die Organisation die Hauptsache ist. Massen auf die Straße zu führen, Massen zur Demonstration zu veranlassen, ist gewiß geeignet, den revolutionären Geist des Klassenkampfes zu schüren, aber zur Selbstregierung und Selbstverwaltung, zur dauernden Herrschaftsausübung werden Massen nur durch Organisation reif. Und das stelle man sich nicht zu leicht vor!

Sonst gibt’s Enttäuschungen.

Unser Dessauer Parteiblatt irrt sich aber ganz gründlich über die Vorgänge in Rußland. Die Massenstreiks werden dort, namentlich jetzt, nachdem die erste Begeisterung auch des liberalen Teiles der Bourgeoisie längst verflogen ist, nicht nur nicht mit Hilfe der bürgerlichen Klassen, sondern unter grimmigster Wut derselben durchgeführt. Das Proletariat in Rußland ist – abgesehen von der deklassierten Intelligenz – heute so isoliert und ganz auf sich angewiesen wie wir in Deutschland. Und schließlich handelt es sich für die Sozialdemokratie gar nicht darum, die Arbeitermasse zur „Herrschaftsausübung“, sondern bloß zum Kampfe um die Eroberung der politischen Herrschaft vorzubereiten.

Der politische Massenstreik

In einer sehr gut besuchten Versammlung des Sozialdemokratischen Vereins in Bürgel hielt am 10. Dezember Genosse Immhof einen Vortrag über: „Die Befreiung der Arbeiterklasse durch den Generalstreik“. Die Erziehung zum Klassenkampf erläuterte der Redner dahin, daß ein jeder Genosse seine Kinder derart erziehen solle, daß die Aufforderung zum Schießen, selbst auf die Eltern, bei unseren Nachkommen das Gegenteil zeitige von dem, was die Machthaber verlangen. Die letzten Aussperrungen in Berlin haben gezeigt, daß zum Kampf mehr gehöre als finanzielle Mittel; kampfbereit müsse das Proletariat jederzeit dastehen, jederzeit zu einem Generalausstand gerüstet. Und dies könne nur geschehen durch die Aufklärung, daß der Generalstreik das Radikalmittel, das beste im Kampfe um die wirtschaftliche Freiheit sei. Darum müsse in jeder Gewerkschafts- und Parteiversammlung diese Frage des Mas-

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[1] Siehe Demonstration und Organisation. In: GW, Bd. 6, S. 890 ff.