Einzelnes vom Kriegsschauplatz
[1]Wolffs Telegraphisches Büro meldet:
Brüssel, 17. April. Der Senat berät die Vorlage betreffend die Bewilligung der provisorischen Kredite. Die Opposition beantragt, nur ein provisorisches Zwölftel zu bewilligen; dieser Antrag wird jedoch abgelehnt. Hanrez (Progressist) erklärte, da er kein Vertrauen zu der Regierung habe, werde er gegen die Vorlage stimmen. Der Minister des Innern erwidert, die Ruhe sei schwer gestört, die Regierung habe das Recht und die Pflicht, sie wiederherzustellen. Die Mitglieder der Kammern würden in den Straßen überfallen, überall fänden Dynamitexplosionen statt (die natürlich von Lockspitzeln à la Pourbatr ausgeführt werden! Die Red.); die Bevölkerung werde terrorisiert (stimmt! Nämlich durch die Gendarmen und Polizisten. Die Red.), Hunderte von Revolverschüssen seien abgegeben, Polizeibeamte und Gendarmen seien getötet worden, die Regierung habe andere Pflichten zu erfüllen, als Interpellationen zu beantworten. Die Regierung bringe den heldenhaften Opfern ihres Berufes ihre Huldigung dar. Alle Behörden hätten ihre Pflicht erfüllt und dazu beigetragen, einer der Zivilisation zuwiderlaufenden Lage ein Ende zu machen. Die Opposition widerspricht den Ausführungen des Ministers. Sodann werden die provisorischen Kredite mit 87 gegen sechs Stimmen, bei 33 Stimmenthaltungen genehmigt.
Über den Stand des Massenstreiks berichtet dasselbe Bureau:
Brüssel, 17. April. Der Ausstand in Brüssel und der näheren Umgebung ist fast ganz beendigt. Meldungen aus der Provinz besagen, daß die Zahl der Ausständigen im Becken von Charleroi 70000, in Mecheln 10000 und im Gebiete des unteren Laufes der Sambre 10000 betrage. Die Diamantschleifer in Antwerpen haben ihren gestrigen Beschluß, heute in den Ausstand zu treten, nicht ausgeführt.
Diese Nachrichten sind offenbar ganz erlogen oder verdreht, denn gleichzeitig lesen wir die Erklärung Vanderveldes in der Kammer, daß sich 300000 im Ausstand befinden. (Die höchste bis jetzt in Belgien erreichte Zahl! Im April 1893 streikten 250000.) Eine Privatmeldung des „Vorwärts“ schätzt die Ausständigen sogar auf 311000.
[1] Der Artikel erschien anonym in der Rubrik „Politische Übersicht. Rosa Luxemburg ist vermutlich die Autorin. Zur ihrer Rolle in der LVZ hatte sie Clara Zetkin am 16. März 1902 berichtet, sie werde ab 1. April 1902 zusammen mit Franz Mehring die politische Leitung der LVZ übernehmen und alles so ordnen, „um Weiteres von hier aus durch Artikel und Übersichten zu tun“. [Redaktionelle Hervorhebung.] Der belgische Wahlrechtskampf bildete außerdem 1902 einen Schwerpunkt ihrer Beobachtungen und Analysen. Siehe: „Der dritte Akt“, „Steuerlos“, „Die Ursache der Niederlage, „Das belgische Experiment“ und „Zum dritten Male das belgische Experiment“. In: GW, Bd. 1, 2. Halbbd., ab S. 195.