Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 415

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/415

„Flottwellsche Politik“

[1]

I.

„Im Großherzogtum Posen befinden sich einige hundert polnische Güter besitzende Edelleute, die mit ihrem Besitz, ihrem Anhange von Vettern, Schlachtizen, Woiwoden, Vögten und Hausbedienten einige tausend Köpfe bilden, die das böse Prinzip der Provinz sind. … Der anliegende Aufsatz entwickelt einige Ideen, wie Preußen von diesen gefährlichen Menschen, ohne Ungerechtigkeiten zu begehen, zu befreien ist. … Es ist wohl kein Zweifel, daß, wenn Preußen die ansehnlichen Kosten, die uns die Anstalten gegen die polnische Insurrektion gekostet haben, in den letzten fünfzehn Jahren verwendet hätte, um die polnischen Gutsbesitzer auszukaufen, das Großherzogtum Posen eine ganz sichere preußische Provinz wäre…“[2]

Also schrieb der posensche General Grolman in seiner Denkschrift über die Verhältnisse in Polen am 25. März 1832.

Den gefährlichen polnischen Adel auszukaufen – die Idee gefiel Friedrich Wilhelm III., und, „ohne Ungerechtigkeit zu begehen“, wurde vom König eine Summe designiert, um polnische Güter aufzukaufen. Die „Flottwellsche Politik“ erlebte in Preußen ihre erste Auflage. Nachdem im Jahre 1840 der romantische Kronprinz den Thron bestiegen und seine „modernen“ Reformen begonnen hatte, gehörte die Grolmansche Staatskunst zu dem wenigen Reaktionären, was in die Rumpelkammer wanderte.

Es war dem Säkularmenschen[3] vorbehalten, das Prachtstück wieder aus dem Schranke für die abgelegte, mottenzerfressene Garderobe der Reaktion hervorzuholen und dem deutschen Philister nach beinahe fünfzig Jahren als genialstes Produkt der Säkularpolitik zu präsentieren. Ein Hundert-Millionenfonds wurde im Jahre 1886 bewilligt, um eine Ansiedlungskommission für Posen und Westpreußen zu schaffen. Neuangekaufte polnische Güter sowie geeignete königliche Domänen der Provinz sollten zur Bildung von kleinen Kolonien verwendet und nur an Deutsche hergegeben werden. Auf diese Weise sollte der polnische Adel einfach expropriiert, aus dem Lande vertrieben, hingegen deutsches Element mitten unter die polnische Bevölkerung als Sprengkolonnen verpflanzt werden.

Nächste Seite »



[1] Der Artikel ist nicht gezeichnet, sehr wahrscheinlich aber von Rosa Luxemburg. Sie war zu dieser Zeit Mitarbeiterin der Leipziger Volkszeitung. Als Abschrift befindet sich der Artikel in den im RGASPI, Moskau, Fonds 209, archivierten Unterlagen für weitere Bände der von Clara Zetkin und Adolf Warski herausgegebenen und von Paul Frölich bearbeiteten „Gesammelten Werke“ Rosa Luxemburgs.

[2] Reichskanzler Otto von Bismarck zitierte in seiner Polenrede am 28. Januar 1886 Teile aus der Denkschrift des kommandierenden Generals von Grolman in Posen vom 25. März 1832. Siehe Bismarckreden 1847–1895. Hrsg. von Horst Kohl, 4. Aufl., Leipzig 1899, S. 285 f.

[3] Gemeint ist Otto von Bismarck, 1871 bis 1890 erster Kanzler des Deutschen Reiches.