Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 123

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Aus Frankreich (Die Kirche schwingt den Weihwedel über dem Generalstab.)

[1]

Allgemeines Aufsehen erregt die neueste Manifestation des Klerikalismus in Frankreich zu Gunsten der Säbelherrschaft. Aus Anlaß der Preisverteilung in dem Dominikanischen Kollegium Albrechts des Großen in Arcueil hielt der Leiter der Schule, der bekannte Pater Didon, eine große Rede „Vom militärischen Geiste in der Nation“. Die mit mächtigem rednerichen Talent gehaltene Ansprache war nichts als eine einzige feurige Verherrlichung der Säbelherrschaft. „Ein Land könnte eher die Literatur und die Künste, die Wissenschaften und die Philosophie entbehren, als die Macht“, sagte u. a. der Dominikaner, und unter „Macht“ versteht er nach eigenem Ausspruch „direkt die materielle Macht, diejenige, welche nicht raisonniert, sondern gebietet und wovon die Armee der oberste Ausdruck ist“. Diese Macht rief Didon zu einem förmlichen Kreuzzug gegen alle Opposition, Demokratie, gegen den „Zivilismus“, den er ein „barbarisches Wort“ nannte. Zum Schluß warf er der Regierung vor – mit einer durchsichtigen Anspielung auf die Dreyfus-Affäre[2] – daß sie es nicht verstanden hätte, die Achtung für die Armee, wenn auch durch Blut, in der Masse aufrechtzuerhalten. Diese Verhimmelung des Militarismus blieb auch nicht unbeantwortet. Bei der Zeremonie war anwesend der Oberfeldherr der Armee, Jamont, und als Vorsitzender gab er das Signal zum lebhaften Beifall nach der Pfaffenrede, wodurch die Zeremonie sich zu einer Art offizieller Verbrüderungsmanifestation zwischen dem Generalstab und der Kirche gestaltete. Dieser letztere Umstand bildet nun den Gegenstand leidenschaftlicher Erörterungen in der gesamten Presse. Die Frage, ob Jamont aus eigener Machtbefugnis an der klerikalen Feier teilgenommen oder ob er dazu die Vollmacht des Kriegsministers Cavaignac eingeholt hatte, wird in widersprechender Weise beantwortet. Cavaignac fühlte sich jedenfalls zur Beruhigung der öffentlichen Meinung zu einem Rundschreiben veranlaßt, worin er „seine lieben Generäle“ ermahnt, daß es unangebracht sei, an klerikalen Manifestationen teilzunehmen. Gleichzeitig behauptet jedoch der „Soir“, daß der General Jamont mit Vorwissen Cavaignacs der Feier in Arcueil präsidiert habe.

Der Sozialist Eugen Fournière richtet in der „Petite République“ an den Ministerpräsidenten Brisson einen offenen Brief, worin er ihm eine Interpellation in der

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[1] Der Artikel ist mit II, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen, versehen. An Leo Jogiches hatte Rosa Luxemburg am 10. Juli 1898 geschrieben: „Mit Parvus [Redakteur der SAZ] habe ich die Beziehungen aufs beste hergestellt: Ich schreibe solche Notizen für ihn, wie Du sie dort hast, über Polen, Frankreich und Belgien. Sie geben mir 30 M im Quartal für das Zeitschriftenabonnement! Natürlich neben dem Honorar.“ Bei Gelegenheit wünsche er solche Notizen auch über England, Italien und die Türkei. Siehe GB, Bd. 1, S. 171.

[2] Der französische Generalstabsoffizier jüdischer Abstammung Alfred Dreyfus war 1894 wegen angeblichen Landesverrats zu lebenslänglicher Deportation verurteilt worden. Proteste fortschrittlicher Kreise erzwangen die Wiederaufnahme des Verfahrens im August 1899. Dreyfus wurde erneut verurteilt, jedoch im September 1899 begnadigt. Er mußte 1906 rehabilitiert werden, als sich die Anklage als Fälschung erwiesen hatte. Die Dreyfus-Affäre führte zur Zuspitzung des politischen Kampfes zwischen Republikanern und Monarchisten und brachte Frankreich an den Rand eines Bürgerkrieges. Innerhalb der Arbeiterbewegung traten im wesentlichen die Sozialisten um Jaurès für eine aktive Beteiligung am Kampf gegen die großbürgerliche chauvinistische Reaktion auf, während die Guesdisten in einem Aufruf vom Juli 1898 das Proletariat aufforderten, sich aus dieser Auseinandersetzung herauszuhalten, weil sie die Meinung vertraten, die Dreyfus-Affäre ginge die Arbeiterklasse nichts an.