Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 251

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1899

Antianarchistenkonferenz

[1]

Die Beschlüsse der Antianarchistenkonferenz werden geheim gehalten.[2] Als Grund führt man an, daß man durch deren Veröffentlichung den Anarchisten nur Fingerzeige dafür bieten würde, wie sie dem Netze der internationalen Polizeibehörden entschlüpfen könnten. Dieser Grund, so schreibt die nationalliberale „Rhein[isch]-Westf[älische] Ztg.“, ließe sich hören, wenn er nur wirklich maßgebend wäre. In Kreisen, die gewöhnlich über derartige Angelegenheiten gut unterrichtet sind, gebe man allerdings einen ganz anderen Grund an. Man erkläre dort das Schweigen daraus, daß es eben – nichts zu berichten gebe. „Die Konferenz hat getagt, hat beraten, hat abgestimmt, hat einzelne Vorschläge angenommen, andere verworfen, aber das Ergebnis war lediglich, daß verschiedene Teilnehmer die gefaßten Beschlüsse in ‚Vormerkung‘ nahmen und andere es namens der Staaten, die sie vertreten haben, ausdrücklich ablehnten, den gefaßten Beschlüssen beizutreten, während allerdings eine Anzahl Vertreter sich sofort namens ihrer Staaten zur Durchführung der gefaßten Beschlüsse verpflichtet haben. Als diejenigen Staaten, deren Vertreter die Durchführung der Konferenzbeschlüsse abgelehnt haben, werden England, die Niederlande und Belgien genannt, während Frankreich die Beschlüsse zunächst ‚ad notam‘ genommen haben soll. Zu den Staaten, die sich mit den Beschlüssen vorbehaltlos einverstanden erklärt haben, dürften Italien, das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn und Rußland gehören. Über die Stellung der Schweiz und anderer Staaten gehen die Meinungen auseinander. Doch glaubt man, daß auch die Schweiz vorläufig dem Beispiel Frankreichs gefolgt sei und eine abwartende Stellung gegenüber den Konferenzbeschlüssen eingenommen habe.“ Man suchte den Schwerpunkt der Konferenzbeschlüsse mit Rücksicht auf diese Staaten nicht sowohl in die Unterdrückung des Anarchismus als in die Verhütung anarchistischer Verbrechen zu verlegen. Aber auch hierzu waren gewisse Repressionsmaßregeln unumgänglich. Namentlich gehörten hierzu Punkt 2 des Konferenz-Programms: „Verpflichtung zur Auslieferung anarchistischer Verbrecher“, und Punkt 4: „Verpflichtung jedes einzelnen Staates, alle ihm bekannten ausländischen Anarchisten aus

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[1] Dieser Beitrag in der Rubrik „Politische Übersicht“ ist nicht gezeichnet. Er ist wahrscheinlich die Notiz, von der in Rosa Luxemburgs Brief an Leo Jogiches vom 9. Januar 1899 die Rede ist, siehe GB, Bd. 1, S. 248.

[2] Unter Beteiligung des Deutschen Reiches hatte die Antianarchistenkonferenz am 24. November 1898 in Rom begonnen und etwa vier Wochen getagt, ohne zu Übereinkünften über die Gestaltung des Straf- und Asylrechts zu kommen, siehe Teil XIII im vorliegenden Text.