Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 329

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Die Weltpolitik und die Sozialdemokratie. Rede am 18. Juni 1901 in einer Volksversammlung in den Arminhallen in Berlin

I.

Nach einem Polizeibericht

Der Vorsitzende erteilt das Wort der Referentin Luxemburg. Dieselbe wandte sich gleich zu Beginn ihres Vortrages mit beißendem Hohn gegen den sich seinem Ende nähernden „Chinakreuzzug“ und gegen den „famosen Weltfeldmarschall Waldersee“,[1] der glänzende Siege schon vor seiner Abfahrt gefeiert habe. Sie erklärte hierbei wörtlich Graf Waldersee für das Urbild einer „Offenbachschen Operettenfigur“.

Im weiteren Verlauf ihrer Ausführungen, die sich im wesentlichen gegen die neue Weltpolitik und deren einzige Interessenten, das Großkapital und die Herren Krupp und von Stumm richten und die in ihren langatmigen sozialistischen Tiraden nichts Neues bieten, geht Rednerin die Weltpolitik der anderen Staaten durch und sucht nachzuweisen, wie dieselbe, insbesondere die Kolonialpolitik, in allen Ländern nur schlechte Früchte gezeitigt habe. Sie führt hierbei alle die Untaten der bisherigen Kolonialhelden à la Peters, Wehlan, Arenberg usw. usf. auf. Unter verschiedenen Seitenhieben bespöttelt Rednerin sodann die „schlappe“ Haltung des Reichstags und der einzelnen Parteien in Sachen der Kostenbewilligung und Indemnität bei Gelegenheit der Chinavorlage. Die Sozialdemokratie sei die einzige Partei, welche konsequent geblieben sei; ihr gehöre die Zukunft und der endliche Sieg.[2]

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[1] Siehe S. 305, Fußnote 13.

[2] Am 19. und 20. November 1900 hatten z. B. August Bebel und Paul Singer im Deutschen Reichstag gegen die Teilnahme Deutschlands an der Intervention in China protestiert, die Grausamkeiten gebrandmarkt und die dafür geforderten Mittel abgelehnt. Dabei konnten sie sich auf die wiederholt in vielen Orten stattfindenden sozialdemokratischen Protestversammlungen gegen den räuberischen Chinafeldzug unter dem deutschen General Alfred Graf von Waldersee stützen. Von Oktober bis Dezember 1900 veröffentlichte die sozialdemokratische Presse sog. Hunnenbriefe, Soldatenbriefe mit Berichten über die Greueltaten des Expeditionskorps in China, und prangerte den barbarischen Charakter des imperialistischen Kolonialkrieges an. Bei der Besichtigung von Truppen hatte Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven eine chauvinistische, die berüchtigte „Hunnenrede“ gehalten, die in den Worten gipfelte: „Kommt Ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen! Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise betätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“