Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 330

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[Nach zwei Wortmeldungen] nimmt die Referentin Rosa Luxemburg das Schlußwort zu einer nochmaligen Aufforderung, zusammenzuhalten und unentwegt weiter zu kämpfen gegen die verderblichen Ziele der Weltpolitik, worauf die Versammlung geschlossen wurde.

II.

Nach einem Zeitungsbericht

Frau Dr. R. Luxemburg sprach über: Weltpolitik und die Arbeiterklasse. In sehr treffender Weise kennzeichnete die Rednerin die von der herrschenden Klasse gegenwärtig so beliebte, abenteuerliche und volksschädliche Welt- und Eroberungspolitik, wie sie neuerdings in China zum Ausdruck gekommen ist. Der Ausflug des Weltmarschalls Waldersee hat dem deutschen Volke 300 Millionen Mark gekostet, die zweifellos viel besser zur Aufbesserung der Gehälter für die hungernden ostpreußischen Volksschullehrer, für Schul- und Krankenhausbauten und andre Kulturzwecke verwendet werden könnten. Die bekannten Vorkommnisse gaben keineswegs die Berechtigung zu dem, noch dazu verfassungswidrig und ohne Zustimmung der Volksvertretung unternommenen Chinazuge; sie mußten aber doch dazu herhalten, um den Chinarummel überhaupt in Szene setzen zu können. Die Rednerin erinnerte daran, daß noch bis vor 10 Jahren die Welt- bzw. Kolonialpolitik, die jetzt alles beherrscht, in Deutschland so ziemlich unbekannt war, und daß selbst Bismarck die Gefährlichkeit einer solchen Politik einsah und dem Drängen der Kolonialphantasten lebhaften Widerstand entgegensetzte. Dann erörterte Genossin Luxemburg die überaus traurigen Erfahrungen, die Deutschland mit seinen Kolonien bisher schon gemacht hat. Sie wies nach, daß nur einige kleine Interessengruppen von dieser Raub- und Eroberungspolitik Vorteile zu erzielen suchen, während die Arbeiterklasse Gut und Blut opfern und die ungeheuren, fortgesetzt steigenden Lasten des Militarismus und Marinismus tragen muß. In ihren weiteren Ausführungen kritisierte die Rednerin das volksfeindliche Verhalten des Zentrums, der nationalliberalen und freisinnigen Parteien, die in der Zeit der weltpolitischen Ära den letzten Rest der demokratischen und liberalen Grundsätze aufgegeben, dem persönlichen Regiment Vorschub leisteten und der Regierung in jeder Weise zu Willen waren und es schließlich der Sozialdemokratie überlassen haben, den Kampf gegen eine derartige aller Kultur und Zivilisation hohnsprechende Weltpolitik allein zu führen.

I. LAB, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 14925, Bl. 316-317.

II. Vorwärts (Berlin), Nr. 141 vom 20. Juni 1901.

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