Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 170

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Eine Konferenz der sozialistischen Gemeinderäte Frankreichs

[1]

fand am 20. September in Montluçon statt, im Anschluß an den Jahreskongreß der Arbeiterpartei (Marxisten).[2] Im Ganzen waren 50 Munizipalitäten vertreten, darunter die Städte Lille, Roubaix, Roanne, Montluçon, Bordeaux, Lyon, Cette, Commentry, Jory, Montpellier, Calais etc., sowie von sieben Gemeinden von Guadeloupe. Die Konferenz beschäftigte sich mit drei Fragen. Zur Abschaffung des Oktrois [Steuer] beschloß sie, die Revision des Gesetzes von 1884 energisch anzustreben, damit volles Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden hergestellt werde bezüglich der Abschaffung der städtischen Verzehrungssteuern und aller munizipalen Funktionen. Was die öffentliche Armenpflege anbelangt, so pflichtete die Konferenz dem Standpunkte bei, den Ghesquière, Gemeinderat von Lille, in seinem Referat vertrat. Die Ausführungen gipfelten darin, daß an Stelle der heutigen Armenpflege eine weitreichende soziale Fürsorge für alle Bedürftigen seitens der Gemeinde treten müsse, die planmäßig organisierte „kommunale Solidarität“. Die diesbezüglichen kommunalen Einrichtungen und Maßregeln müßten 1. dem schlimmsten Elend vorbeugen und 2. jedes erniedrigenden Charakters ermangeln. Die Debatten über die Reform des Katasters sind ohne Interesse für die deutschen Leser. Als Sitz des Verbandes der marxistischen Gemeinderäte wurde Lille erwählt.

Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden),

Nr. 227 vom 30. September 1898.

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[1] Diese Notiz ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen, versehen. An Leo Jogiches hatte Rosa Luxemburg am 10. Juli 1898 geschrieben: „Mit Parvus [Redakteur der SAZ] habe ich die Beziehungen aufs beste hergestellt: Ich schreibe solche Notizen für ihn, wie Du sie dort hast, über Polen, Frankreich und Belgien. Sie geben mir 30 M im Quartal für das Zeitschriftenabonnement! Natürlich neben dem Honorar.“ Bei Gelegenheit wünsche er solche Notizen auch über England, Italien und die Türkei. Siehe GB, Bd. 1, S. 171.

[2] Die französische sozialistische Bewegung wies in den 90er Jahren des 19. Jh. eine kollektivistische, marxistische (Guesdisten), eine possibilistische, kleinbürgerlich-reformistische (Broussisten), eine blanquistische, sektiererische (Blanquisten), eine anarcho-syndikalistische (Allemanisten) und eine „unabhängige“ sozialreformerische (Jaurèsisten) Strömung auf.