Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 857

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Die Revolution in Rußland

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Die Straßenkämpfe in Moskau

Moskau, 24. Dezember. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) An allen Punkten, wo gestern die Barrikaden zerstört waren, errichteten die Aufständischen neu. Die Breststraße bis zum Bahnhof ist voll von Barrikaden. Auf dem Strastnoiplatze sind wieder Geschütze aufgefahren. Am Patriarchenteich, auf der Bronnajastraße, beim Karetnyj Rjad, der Petrowka und der Twerskaja wechseln die Aufständischen mit den Truppen Schüsse. In dem ausgeraubten Waffenmagazin von Thorbeck explodierte heute Nacht eine Höllenmaschine, wodurch das angrenzende Hotel Metropol in Brand gesteckt wurde. Der Brand wurde bald gelöscht. Auf das Waffenmagazin von Brabetz wurde ein Plünderungsversuch gemacht, der indessen keinen Erfolg hatte. Heute Vormittag hatte das Schießen nachgelassen. Bis heute Früh zählte man gegen 200 Verwundete. Die Zahl der Toten ist noch nicht festgestellt. Seit heute Früh feuerte die Artillerie gegen die Barrikaden. Feuerwehrleute setzten die Barrikaden in Brand. Zusammenstöße, die zuerst auf der Twerskaja, dann in anderen Straßen stattfanden, wurden besonders heftig auf dem Twerskoy Boulevard und den umliegenden Straßen. Die Aufständischen verwundeten 20 Gendarmen. Nach neueren Zählungen gab es gestern 500 Verwundete, heute noch viel mehr. Heute Abend kam es auch in den Vorstädten zu Zusammenstößen. Auf der Srentenka wurde eine Bombe geworfen. Die Bahnhöfe sind von Truppen besetzt. Der Verband der Verbände beschloß, den allgemeinen Ausstand aufrechtzuerhalten, sich aber nicht an dem Aufstand mit Waffen zu beteiligen.

Moskau, 25. Dezember. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Als heute gegen 11 Uhr vormittags von der Station Perowo der Moskau-Kasaner Bahn 300 Mann revolutionärer Miliz in einem Sonderzuge hier eintrafen, versammelten sich am Lokomotivendepot dieser Bahn 2000 ausständige Arbeiter, worunter sich einige Hundert Mann revolutionärer Miliz befanden. Die Menge bemächtigte sich eines benachbarten Viktualienladens und beschoß die bei dem Bahnhof stehenden Truppen, welche darauf ein Geschützfeuer eröffneten. Gegen ein Uhr nachmittags

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[1] Dieser Beitrag erschien in der von Rosa Luxemburg im „Vorwärts“ gestalteten Rubrik „Die Revolution in Rußland“. Der Artikel ist nicht gezeichnet, Rosa Luxemburg ist aber gewiß der Autor. Es entsprach den Vereinbarungen mit dem Parteivorstand vom 23. Oktober 1905, über die sie an Leo Jogiches am 24./25. Oktober 1905 schrieb: „Wie Du siehst, müssen wir schon damit rechnen, daß ich ab 1. XI. diese zwei Leitartikel für den ‚Vorwärts‘ auf dem Halse habe, aber bestimmt noch weit mehr, denn K. K. [Karl Kautsky] fordert z. B., daß ich, wenn auch nur von zu Hause aus (durch Notizen), den russischen Teil leite, also wird es ziemlich viel Arbeit geben!“ GB, Bd. 2, S. 215. Kautsky wurde in seiner Ansicht in einem Brief von August Bebel vom 26. Oktober 1905 bestärkt. Siehe August Bebels Briefwechsel mit Karl Kautsky, Assen 1971, S. 172 f. Rosa Luxemburg avancierte zur leitenden politischen Redakteurin, d. h. zur Chefredakteurin des „Vorwärts“, und gestaltete ab Ende Oktober die Rubrik „Die Revolution in Rußland“. Am 1. November 1905 teilte sie Leo Jogiches mit: „Ich bin nämlich seit gestern täglich im ‚Vorwärts‘ beschäftigt, und zwar schon ab 4 Uhr nachmittags. Es erweist sich – der Karren steckt im Dreck, und ich muß energisch helfen. Gestern schrieb ich dort an Ort und Stelle den Leitartikel und habe alle Telegramme über Rußland bearbeitet. Heute gehe ich wieder den Leitartikel schreiben und Rußland.“ Über das Honorar habe „der Vorstand beschlossen: 20 M für Leitartikel und 5 M täglich für Rußland, kurze Notizen 10 Pf je Zeile“. Der Artikel basiert auf Meldungen vom 23. bis 27. Dezember 1905. Der „Vorwärts“ hatte am 24. Dezember 1905 gemeldet, daß die nächste Nummer erst am 28. Dezember erscheinen werde.