Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 285

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Die neue Flottenvorlage

[1]

Das Unvermeidliche, es ist geschehen, die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“[2] setzt auf den von uns sofort gebrandmarkten Schwindel ihres ersten Dementis am Sonnabend den Trumpf der Darlegung des famosen Flottenplanes.[3]* Auch in den „Berliner Neuesten Nachrichten“, dem Organ der Marinelieferanten, in dem Junkerblatte, der „Kreuz-Zeitung“, in dem Organ des Reklamegiganten Scherl wird in den Abendausgaben vom Sonnabend der Flottenplan bereits dargelegt.

Und wie weggeblasen sind wieder die berühmten Kanzlererklärungen, die amtlichen Versprechungen, die feierlichen Worte der „verantwortlichen“ Staatsmänner. Der Herbstwind der Hamburger Flottenrede[4] ließ sie wie welkes, gelb gewordenes, verdorrendes Laub davon stieben. Kanzlerworte sind Schall und Rauch, die Losung lautet: Volldampf voraus!

Der neue Flottenplan tritt in der offiziösen Darstellung an Stelle des Flottenplans für die Jahre 1901, 1902 und 1903 und erstreckt sich auf Schiffsbauten, die bis zum Jahre 1917 vorgenommen werden sollen.

Der Zweck dieses rühmlichen neuen Planes ist es, das im Flottengesetz von 1898[5] vorgesehene Doppelgeschwader für die heimische Schlachtflotte aus Linienschiffen und Kreuzern noch durch ein drittes und viertes Geschwader zu vermehren.

„Um möglichst schnell“, so sagt das Lauserblatt, „zu einer militärischen Leistung zu kommen, und um obiges Ziel finanziell durchführbar zu machen, würde es sich empfehlen, zunächst nur den Bau des dritten Geschwaders, bestehend aus zehn Linienschiffen nebst Zubehör an Kreuzern und Torpedobooten, in Aussicht zu nehmen und als viertes Geschwader das vorhandene Küstenpanzerschiffs-Geschwader zu verwenden.“

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[1] Der Artikel erschien anonym. Es handelt sich wahrscheinlich um einen der beiden in Rosa Luxemburgs Brief an Leo Jogiches vom 28. Oktober 1899 angekündigten Artikel, siehe GB, Bd. 1, S. 389. In der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1971 (Feliks Tych: Uzupelnienia do Bibliographii Prac [Pierwodruków] Rózy Luksemburg. In: Z pola walki 1971, Nr. 1), ist er unter Nr. 8 ausgewiesen.

[2] In der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 28. Oktober 1899 war gefordert worden, die deutsche Kriegsflotte durch erhöhtes Tempo des Kriegsschiffsbaus zu vergrößern.

[3] * Den Wortlaut des Flottenplanes geben wir an anderer Stelle wieder.

[4] Wilhelm II. hatte am 18. Oktober 1899 beim Stapellauf des Linienschiffes „Kaiser Karl der Große“ in Hamburg den Aufbau einer starken Kriegsflotte gefordert, um die Vormachtstellung Deutschlands zur See verwirklichen zu können.

[5] Gemeint ist die erste Flottenvorlage, die am 28. März 1898 im Deutschen Reichstag mit 212 gegen 139 Stimmen angenommen worden war. Dem Flottengesetz vom 10. April zufolge sollte die deutsche Kriegsflotte bis 1904 auf 19 Linienschiffe, acht Küstenpanzerschiffe und 42 Kreuzer mit einem Kostenaufwand von 482,8 Mill. M vergrößert werden. Damit begann Deutschland das Wettrüsten zur See, das zur Verschärfung des Gegensatzes zwischen Deutschland und England führte.