Die Revolution in Rußland
[1]Die Gewaltstreiche der Reaktion
Petersburg, 18. November. Heute Nacht beschlagnahmte die Polizei die Druckerei der Arbeiterzeitung „Iswestija Sowjeta“ (Nachrichten des Rates der Arbeiterdelegierten). Das ganze Personal wurde wegen Majestätsbeleidigung verhaftet. (!!) Das Arbeiterkomitee ist fest entschlossen, die Herausgabe der Zeitung fortzusetzen.
Der offiziöse Telegraph „beruhigt“
Petersburg, 18. November. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Der Stadthauptmann ermahnt die Bevölkerung, der Aufforderung der Arbeiterdelegierten, sich dem Ausstand anzuschließen, nicht Folge zu leisten. Man hofft, daß der Rat der Arbeiterdelegierten, für den Streik einzutreten, nicht befolgt wird. Der gestrige Versuch des Ingenieurverbandes, die Bankbeamten zum Anschluß an den Streik zu bewegen, blieb erfolglos. Alle Banken sind heute geöffnet.
Der Generalstreik
Petersburg, 18. November. 520 Fabriken, darunter einige, die unter Staatsaufsicht stehen, sind vom Ausstand betroffen. 113000 Arbeiter streiken. In vier staatlichen Etablissements ruht die Arbeit vollständig.
Warschau, 18. November. Die Sozialdemokratie beschloß, den Generalausstand zu proklamieren, wenn der Belagerungszustand für Polen nicht aufgehoben wird.
Warschau, 18. November. Gestern Abend wurde eine Bombe gegen eine Schwadron Kosaken geschleudert, ohne jedoch Schaden anzurichten.
Warschau, 18. November. Etwa 1000 Arbeiter des Metallwerkes Starachowice, die von der Beendigung des Ausstandes nichts wußten, hielten heute einen gemischten Eisenbahnzug auf der Linie der Weichselbahnen nach Ostrowice auf und zwangen ihn, umzukehren. Der Telegraph ist zerstört, eine Brücke beschädigt. Der Bahnbetrieb ist unterbrochen.
Kattowitz, 18. November. Die Eisenbahndirektion teilt mit: Die Abfahrt des ersten Zuges von Kattowitz nach Warschau ist heute Vormittag um 10 Uhr 35 Minuten erfolgt. Mit demselben begab sich eine Kommission behufs Verhandlungen über Wiederaufnahme des Personen- und Güterverkehrs nach Warschau.
[1] Dieser Artikel erschien in der von Rosa Luxemburg im „Vorwärts“ gestalteten Rubrik „Die Revolution in Rußland“. Der Artikel ist nicht gezeichnet, Rosa Luxemburg ist aber gewiß der Autor. Es entsprach den Vereinbarungen mit dem Parteivorstand vom 23. Oktober 1905, über die sie an Leo Jogiches am 24./25. Oktober 1905 schrieb: „Wie Du siehst, müssen wir schon damit rechnen, daß ich ab 1. XI. diese zwei Leitartikel für den ‚Vorwärts‘ auf dem Halse habe, aber bestimmt noch weit mehr, denn K. K. [Karl Kautsky] fordert z. B., daß ich, wenn auch nur von zu Hause aus (durch Notizen), den russischen Teil leite, also wird es ziemlich viel Arbeit geben!“ GB, Bd. 2, S. 215. Kautsky wurde in seiner Ansicht in einem Brief von August Bebel vom 26. Oktober 1905 bestärkt. Siehe August Bebels Briefwechsel mit Karl Kautsky, Assen 1971, S. 172 f. Rosa Luxemburg avancierte zur leitenden politischen Redakteurin, d. h. zur Chefredakteurin des „Vorwärts“, und gestaltete ab Ende Oktober die Rubrik „Die Revolution in Rußland“. Am 1. November 1905 teilte sie Leo Jogiches mit: „Ich bin nämlich seit gestern täglich im ‚Vorwärts‘ beschäftigt, und zwar schon ab 4 Uhr nachmittags. Es erweist sich – der Karren steckt im Dreck, und ich muß energisch helfen. Gestern schrieb ich dort an Ort und Stelle den Leitartikel und habe alle Telegramme über Rußland bearbeitet. Heute gehe ich wieder den Leitartikel schreiben und Rußland.“ Über das Honorar habe „der Vorstand beschlossen: 20 M für Leitartikel und 5 M täglich für Rußland, kurze Notizen 10 Pf je Zeile“.