Von der Meinungsfabrik
[1]Über dieses Thema bringt unser Banter Parteiblatt einen interessanten und beachtenswerten Leitartikel, dem wir das Folgende entnehmen: Wir sind ganz eins mit dem „Vorwärts“, wenn er meint, daß der bescheidendste und in dieser oder jener Beziehung unzulänglichste Artikel, der aus eigenem Fleiß und eigener Gedankenarbeit eines Provinzredakteurs entsteht, zehnmal wertvoller ist, als die durch zehn, zwölf und mehr Blätter rollenden stereotypen Geistesprodukte des gemeinsamen Berliner Korrespondenten. Wir sind denn auch, was uns jeder aufmerksame Leser bestätigen kann, eifrigst bemüht gewesen, unser Blatt mit Originalartikeln reichlich auszustatten, die vielleicht manchem manches Mal sogar zu eigenartig gewesen sein mögen.
Wir wollen nicht die auch von dem „Vorwärts“ anerkannte Überbürdung der Provinzredakteure für uns reklamieren. Es ist freilich für jeden, der mit schaffender Geistestätigkeit vertraut ist, klar, daß nur der das seiner Befähigung Entsprechende leisten kann, dem eine gewisse Muße zur Verfügung steht.
Wir wollen indessen, wie gesagt, keine Überbürdung für uns reklamieren. Der sozialdemokratische Redakteur will kein wohlbestallter Beamter mit regelmäßiger Freizeit sein, er weiß vielmehr, daß er seine ganze Kraft für die Partei einzusetzen und auch zu erschöpfen hat. Und wenn er physisch ermatten sollte, muß ihn die Begeisterung für unsere Sache physisch beleben und von innen heraus aufs Neue wieder ins Feuer bringen. Hieran liegt nicht oder wenigstens nicht in erster Linie die Notwendigkeit der Beibehaltung der Berliner Korrespondenz, sie ist vielmehr rein technischer Natur. In der Redaktion des „Norddeutschen Volksblattes“ z. B. erhalten wir die Berliner Parteipresse erst nachmittags um 5 Uhr, während die Austragung unsres Blattes schon um 3 Uhr beginnt. Der „Vorwärts“ kann uns aber nur über das unterrichten, was ihm am Tage vorher bekannt geworden ist, wir können dem „Vorwärts“ nur „olle Kamellen“ entnehmen. Aktuelle politische Artikel, die sich mit den neuesten Vorgängen befassen, könnten wir erst am nächsten Tage um ½11 Uhr beginnen, wo uns die Hauptpost zugeht und wir uns über die letzten Berliner Vorfälle, also etwa über Vorgänge im Reichstage, Veröffentlichungen der Reichsregierung, Reden Wilhelms II. usw. aus der großen bürgerlichen Presse notdürftig unterrichten können. Wir müssen aber in der Zeit von halb elf bis etwa halb ein Uhr, also in höchstens zwei Stunden, das ganze Blatt redaktionell fertig stellen, und vorher etwa 40 verschiedene Zeitungen durchlesen, wobei ein Vorarbeiten nahezu ausgeschlossen ist, wenn wir nicht die Besprechung neuer Ereignisse durch die alten beschränken wollen, was ja eigentlich kein Unglück wäre, aber der bürgerlichen Konkurrenz halber nicht angängig ist. Es ist deshalb für uns, und das gilt fast für die gesamte Provinzpresse, eine Berliner Korrespondenz unentbehrlich, die bisher mit den der Provinzpresse zu Gebote stehenden Mitteln nur bei Stampfer zu finden war.
[1] Siehe Aus der Partei. Beiträge und Kommentare zu Meldungen in der Rubrik „Aus der Partei“. In: GW, Bd. 6, S. 882 f. und 893 f.