Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 153

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Siege der italienischen Sozialisten bei Gemeinderatswahlen

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Trotz Geldsacksherrschaft und Säbelregiment, trotz Belagerungszustand mit allen seinen Schrecken haben unsere italienischen Genossen in mehreren Orten anläßlich der Gemeinderatswahlen glänzende Siege erfochten. In der Gemeinde Colle di Val Elsa war der sozialistische Gemeinderat unter einem nichtigen Vorwand aufgelöst worden. Die Neuwahlen fanden Ende August unter dem Belagerungszustand statt. Die Sozialisten waren so gut wie aller Aktionsmittel beraubt. Ihr Organ, „Il Martello“ [Der Hammer] war unterdrückt, die Arbeiterorganisationen zerstört, Versammlungen wurden verboten. Sämtliche bürgerliche Parteien hatten sich zu einem Ordnungsbrei koaliert, um den Sozialisten die Herrschaft auf dem Rathause zu entreißen. Erst in letzter Stunde war es den Sozialisten möglich, mit ihrer Kandidatenliste an die Öffentlichkeit zu treten und eine Agitation zu entfalten, welche um so reger war, auf je kürzere Zeit sie zusammengedrängt werden mußte. Aller Schwierigkeiten ungeachtet gelang es den Genossen, etliche Nummern einer Wahlzeitung herauszugeben. Die verbündeten Gegner hatten wochenlang „gearbeitet“, zwar unterstützt mit allen staatlichen Machtmitteln. Trotzdem siegte die sozialistische Liste mit 111 Stimmen Majorität, und Colle di Val Elsa wird nach wie vor eine sozialistische Gemeindeverwaltung haben. Der aufgelöste sozialistische Gemeinderat hatte sich durch seine Ehrlichkeit in der Verwaltung und durch Einführung von Reformen zu Gunsten der ärmeren Bevölkerung das allgemeine Vertrauen erworben, so daß die Gemeinde sich durchaus nicht eine bürgerliche Munizipalität aufzwingen lassen will. – Bei Ergänzungswahlen zu dem Gemeinderat von Diano Marina wurden zwei sozialistische und vier bürgerliche Vertreter gewählt. Die beiden Sozialisten erhielten von allen Kandidaten die höchste Stimmenzahl.

Die vier bürgerlichen Kandidaten zogen nun in das Rathaus ein dank eines Wahlbündnisses aller bürgerlichen Parteien, welche sich auf die vier betreffenden Namen geeinigt hatten. Da Liberale und Klerikale für die beiden anderen Gemeinderatssitze selbständige Kandidaturen aufgestellt hatten, lassen sich die Streitkräfte jeder einzelnen Partei berechnen. Danach sind die Sozialisten fast doppelt so stark wie die Klerikalen, und um ein Sechstel zahlreicher als die Liberalen. Die Herren hoffen, im nächsten Jahre bei den allgemeinen Kommunalwahlen den ganzen Gemeinderat zu erobern. –

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[1] Dieser Artikel ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen, versehen. An Leo Jogiches hatte Rosa Luxemburg am 10. Juli 1898 geschrieben: „Mit Parvus [Redakteur der SAZ] habe ich die Beziehungen aufs beste hergestellt: Ich schreibe solche Notizen für ihn, wie Du sie dort hast, über Polen, Frankreich und Belgien. Sie geben mir 30 M im Quartal für das Zeitschriftenabonnement! Natürlich neben dem Honorar.“ Bei Gelegenheit wünsche er solche Notizen auch über England, Italien und die Türkei. Siehe GB, Bd. 1, S. 171.