Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 143

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Zur Bewegung der französischen Eisenbahner

[1]

Die Direktionen der französischen Eisenbahngesellschaften stehen bis jetzt den Forderungen der organisierten Eisenbahner schroff ablehnend gegenüber. In ihrer protzigen Stellung wurden sie ganz besonders durch einen Umstand bestärkt: Durch die feste Gewißheit, daß im Falle eines Kampfes das Ministerium des Radikalen Brisson genau ebenso flink liebedienerisch als das Kabinett des schneidigen Agrariers Méline oder des fauststarken Dupuy die ganze Staatsgewalt in den Dienst des Kapitalistenklüngels stellen wird. Dieser Überzeugung froh sind bereits zwei Direktionen mit Maßregelungen von Angestellten vorgegangen, welche als tätige Mitglieder der Gewerkschaft der Eisenbahner bekannt waren. Die Direktion der Linie Paris–Lyon entließ drei Beamte und die Verwaltung der Ostbahn die beiden Bremser Andree und Thomas, von denen der Letztere seit sieben Jahren fest angestellt war. Das Kapital schwingt die Hungerpeitsche und sucht mit ihren Schlägen den Arbeitssklaven die Neigung auszutreiben, von ihrem Staatsbürgerrecht, sich zu organisieren und zu kämpfen, Gebrauch zu machen. Und trotzdem soll das Gesetz Trarieur[2] die Gewalt der Eisenbahngesellschaften über die ihnen Fronenden noch verstärken. Es soll den ca. 300000 französischen Eisenbahnern die Organisations- und Koalitionsfreiheit rauben. Die politischen Sachwalter der Besitzenden werden jedenfalls die im Plan befindliche Bewegung zu einem Vorstoß ausnützen, um den Antrag Trarieur möglichst schnell unter Dach und Fach zu bringen.

Sozialistischerseits gedenkt man dem reaktionären Attentat durch eine Interpellation über die berichteten Maßregelungen zu begegnen. Der marxistische Deputierte Carnaud wird sofort nach dem Wiederzusammentritt der Kammer den Minister der öffentlichen Arbeiten, einen Auch-Radikalen, betreffs der vorgekommenen Entlassungen interpellieren. Diese Interpellation soll nicht nur vor der breitesten Öffentlichkeit nachweisen, wie die Eisenbahngesellschaften ihre Herrschaftsstellung von Kapitals Gnaden brauchen und mißbrauchen. Sie zwingt vielmehr auch das Kabinett Brisson, klipp und klar seine Stellung zu der Frage des Koalitionsrechts zu bekennen. Wie es nämlich heißt, soll der Bremser Thomas direkt auf eine Aufforderung der Staatsbehörden hin entlassen

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[1] Der Artikel ist mit ♂, einem von Rosa Luxemburgs Zeichen, versehen An Leo Jogiches hatte Rosa Luxemburg am 10. Juli 1898 geschrieben: „Mit Parvus [Redakteur der SAZ] habe ich die Beziehungen aufs beste hergestellt: Ich schreibe solche Notizen für ihn, wie Du sie dort hast, über Polen, Frankreich und Belgien. Sie geben mir 30 M im Quartal für das Zeitschriftenabonnement! Natürlich neben dem Honorar.“ Bei Gelegenheit wünsche er solche Notizen auch über England, Italien und die Türkei. Siehe GB, Bd. 1, S. 171.

[2] Das Gesetz des Justizministers Ludovic Jaques Trarieur von 1895 richtete sich gegen das Koalitionsrecht der Arbeiter und bedrohte Streikende mit Strafen von sechs Tagen bis zu drei Jahren Gefängnis und 16 bis 3000 Francs Geldbuße.