Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 608

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unsere Friedenspolitik wie unsere sozialreformerischen Forderungen als internationale Maßnahmen auffassen, daß wir aber den internationalen Kampf wider die Barbarei des Militarismus wie des ungezügelten kapitalistischen Ausbeutertums eben nur in der Weise führen können, daß wir als Arbeiterpartei in jedem Lande vor allem gegen den eigenen Militarismus, gegen die eigene Kapitalistenklasse mit aller Macht das Schwert richten.

Und zwar nicht als Malkontenten der jeweiligen Steuerpolitik oder des jeweiligen Regierungs-„Kurses“, wie Calwer glaubt, sondern als grundsätzliche Gegner der ganzen bestehenden Ordnung, in der der Militarismus wurzelt.

Nun verwirft Calwer diesen prinzipiell internationalen Standpunkt der sozialdemokratischen Friedenspolitik. Wo muß er aber alsdann eine Gewähr, wo Garantien für seine Friedenspolitik suchen? In rein bürgerlichen Kannegießereien über die Notwendigkeit einer „Annäherung“ Deutschlands an Frankreich, in einer deutsch-französischen Allianz, durch die er Frankreich von den für uns gefährlichen Lockungen der englischen Freundschaft abzuwenden hofft. Statt einer proletarischen Völkersolidarität mit allen Nationen – eine bürgerlich-diplomatische „Allianz“ zweier Militärmächte mit einer Spitze gegen eine dritte. Statt revolutionärer Methoden des Klassenkampfes – Methoden der bürgerlich-diplomatischen Drahtzieherei. Statt Marx – Delcassé.

Wir übertreiben durchaus nicht die politische Tragweite solcher literarischer Kundgebungen wie die jüngste von Calwer; die Richtung, aus der heraus sie kommen, sitzt glücklicherweise auf einem Isolierschemel, und zwar auf einem sehr kleinen. Aber als jederzeit gefundenes Fressen für unsere bürgerlichen Gegner müssen sie wenigstens registriert und jedes Mal auf ihre bezeichnenden Konsequenzen festgenagelt werden. Die Ansichten haben eben ihre Logik, auch wo die Menschen sie nicht … haben wollen.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 257 vom 2. November 1905.

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