Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 534

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Die Tätigkeit der Sozialdemokratie

Über die agitatorische Betätigung der polnischen Sozialdemokratie vor dem 1. Mai wird uns aus Warschau geschrieben:

Naturgemäß spielte die Maiagitation in diesem Jahre eine ganz andere Rolle als in allen vorhergehenden. Die Agitationsliteratur war diesmal ganz außerordentlich reichlich. Von der Sozialdemokratie wurden folgende Schriften massenhaft verbreitet: 1. Eine populäre Maibroschüre. 2. Ein acht Druckseiten großes Maiflugblatt, das den besonderen Zusammenhang der Maifeier mit der Revolution im Zarenreiche auseinandersetzt. 3. Eine in den Geheimdruckereien der Partei im Lande selbst in roten Lettern auf weißem Papier in zirka 75000 Exemplaren hergestellte Maiproklamation, die sich diesmal zum ersten Male auch an das ländliche Proletariat wendet. 4. Einen Aufruf zur Maifeier an die studierende Jugend. 5. Ein Flugblatt mit der Aufschrift „Unter dem Regime des Stranges und der Bleikugel!“, worin zu dem jüngst begonnenen Schreckensregiment der Zarenschergen Stellung genommen wurde. 6. Die Aprilnummer des Parteiorgans „Die rote Fahne“ mit einem Maiartikel Karl Kautskys an leitender Stelle. Außer diesen polnischen Schriften wurden in deutscher Sprache unter den in Łódź, Zgierz, Bial/ystok u. a. zu Zehntausenden lebenden deutschen Arbeitern verbreitet: 7. ein Maiflugblatt und 8. ein Offener Brief August Bebels[1] an die deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen in Russisch-Polen und Litauen. Aus diesem interessanten Dokument seien nur einige Stellen wiedergegeben. Nachdem Bebel die Endziele der Sozialdemokratie und die Lage des ausgebeuteten und geknechteten Proletariats geschildert hat, legt er den deutschen Arbeitern dar, daß sie trotz aller Unterschiede der Nationalität, der Sprache, der Religion mit dem übrigen Proletariat des Landes und des ganzen russischen Reiches einig und gemeinsam um dieselben Ziele kämpfen müssen. Nach einer eingehenden Darlegung auch des politischen Programms der Sozialdemokratie Russisch-Polens und Litauens, das auf die Eroberung der politischen Freiheit gemeinsam mit dem gesamten russischen Proletariat ausgeht, schließt Bebel: „Deutsche Arbeiter und Arbeiterinnen! Dieses sind in Kürze die nächsten Forderungen, für deren Verwirklichung in Staat, Land und Gemeinde die polnisch-russische Sozialdemokratie kämpft. Dieser müßt Ihr Euch anschließen und sie unterstützen.

Deutsche Arbeiter und Arbeiterinnen! Zögert nicht, tretet ein in die Reihen Eurer kämpfenden Brüder und Schwestern polnisch- und russischer Nationalität. Nur durch einiges und geschlossenes Handeln mit ihnen könnt Ihr die Verbesserung Eurer Lage, könnt Ihr eine menschenwürdige Existenz Euch erkämpfen. Vereinigt seid Ihr eine unüberwindliche Macht, der kein Gegner widerstehen kann.

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[1] Dieser Offene Brief August Bebels an die deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen in Russisch-Polen vom 9. April 1905 wurde vom Vorstand der SDKPiL als Flugblatt verbreitet. Siehe August Bebel: Ausgewählte Reden und Schriften, Band 7/2, Reden und Schriften 1899 bis 1905. Bearbeitet von Anneliese Beske und Eckhard Müller, München 1997, S. 784 ff.