Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 924

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stellung, für die Hamburger Krawalle verantwortlich machen will, denn diese Probe ist auch charakteristisch für die Leichtigkeit, mit der er im gegebenen Fall mir in meiner Jenaer Parteitagsrede die Absicht zuschiebt, zu Gewalttätigkeiten angereizt zu haben.

Vor allem sei mein erregter Ton ein belastendes Moment. Nun, der Ton ist ja individuelle Temperamentssache. Aber es ist doch klar, daß man sehr erregt sprechen und dabei eine streng wissenschaftliche Auffassung vertreten kann, ebenso wie man sehr ruhig reden und dabei eine sehr krude, unwissenschaftliche und aufreizende Auffassung darlegen kann. Was meine Auffassung in der Massenstreikfrage betrifft, so vertrete ich ja gerade die Ansicht, daß man weder eine Revolution noch einen großen ernsten Massenstreik künstlich machen oder provozieren kann.

Da sich der Herr Staatsanwalt auf meine Rede in Mannheim berufen hat, so darf ich wohl auch zur Klarlegung meiner Auffassung hier einige Stellen aus einer Schrift von mir verlesen, nämlich aus der Broschüre über den Massenstreik, die gerade zum Mannheimer Parteitag geschrieben war. Da sage ich z. B. auf Seite 33:

„Es genügt, das Bisherige zusammenzufassen, um auch über die Frage der bewußten Leitung und der Initiative bei dem Massenstreik Aufschluß zu bekommen. Wenn der Massenstreik nicht einen einzelnen Akt, sondern eine ganze Periode des Klassenkampfes bedeutet, und wenn diese Periode mit einer Revolutionsperiode identisch ist, so ist es klar, daß der Massenstreik nicht aus freien Stücken hervorgerufen werden kann, auch wenn der Entschluß dazu von der höchsten Instanz der stärksten sozialdemokratischen Partei ausgehen mag. Solange die Sozialdemokratie es nicht in ihrer Hand hat, nach eigenem Ermessen Revolutionen zu inszenieren und abzusagen, genügt auch nicht die größte Begeisterung und Ungeduld der sozialdemokratischen Truppen dazu, eine wirkliche Periode der Massenstreiks als eine lebendige mächtige Volksbewegung ins Leben zu rufen.“

Und endlich auf Seite 50:

„Und wenn es einerseits schwerlich mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, ob die Vernichtung des allgemeinen Wahlrechts in Deutschland in einer Situation eintritt, die unbedingt eine sofortige Massenstreikaktion hervorrufen wird, so ist es anderseits ganz sicher, daß, sobald wir in Deutschland in die Periode stürmischer Massenaktionen eingetreten sind, die Sozialdemokratie unmöglich auf die bloße parlamentarische Defensive ihre Taktik festlegen darf. Den Anlaß und den Moment vorauszubestimmen, an dem die Massenstreiks in Deutschland ausbrechen sollen, liegt außerhalb der Macht der Sozialdemokratie, weil es außerhalb ihrer Macht liegt, geschichtliche Situationen durch Parteitagsbeschlüsse herbeizuführen. Was sie aber kann und muß, ist, die politischen Richtlinien dieser Kämpfe, wenn sie einmal eintreten, klarlegen und in einer entschlossenen, konsequenten Taktik formulieren. Man hält nicht die geschichtlichen Ereignisse im Zaum, indem man ihnen Vorschriften macht, sondern indem man sich im Voraus ihre wahrscheinlichen berechenbaren Konsequenzen zum Bewußtsein bringt und die eigene Handlungsweise danach einrichtet.“[1]

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[1] Siehe Rosa Luxemburg: Massenstreik, Partei und Gewerkschaften. In: GW, Bd. 2, S. 130 f. und 151.