Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 509

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arbeiter usw. Sie sind nicht entehrt durch die glänzenden Livreen (couleurs) des Luxus; sie seufzen unter ekelhaften Lumpen, die die Livree der Armut bilden. Sie haben nie Anteil an dem Überfluß, dessen Quelle ihre Arbeit ist. Der Reichtum scheint ihnen eine Gnade zu erweisen, wenn er die Geschenke entgegennimmt, die sie ihm bringen. Sie müssen für die Dienste dankbar sein, die sie ihm erweisen. Er überhäuft sie mit der beleidigensten Mißachtung, wenn sie seine Knie umfangen, um von ihm die Erlaubnis zu erhalten, ihm nützlich sein zu dürfen. Er läßt sich bitten, dies zu gestatten, und bei diesem seltsamen Austausch einer wirklichen Verschwendung gegen eine eingebildete Wohltat sind der Hochmut und die Verachtung auf der Seite des Empfangenden und die Unterwürfigkeit, die Ängstlichkeit, der Diensteifer auf Seite der Gebenden. Das ist die Art Diener, die in der Tat die Hörigen bei uns abgelöst haben, und es ist ohne Widerspruch ein sehr zahlreicher, ja der zahlreichste Teil jeder Nation.

Es handelt sich darum, zu untersuchen, welches der wirkliche Gewinn ist, den ihnen die Unterdrückung der Sklaverei verschafft hat. Ich sage es mit ebenso viel Schmerz wie Freimut: Ihr ganzer Gewinn besteht darin, daß sie stets von der Furcht gepeinigt werden, Hungers zu sterben, ein Unglück, vor dem wenigstens ihre Vorgänger auf der untersten Stufe der Menschheit bewahrt blieben.

Er (der Arbeiter) ist frei, sagt ihr! Ach, gerade darin besteht sein Unglück. Er hat sich um niemand zu kümmern, aber es kümmert sich auch niemand um ihn. Wenn man ihn braucht, mietet man ihn so billig wie möglich. Der geringe Lohn, den man ihm verspricht, kommt kaum dem Preis seiner Lebensmittel gleich für den Arbeitstag, den er im Austausch hingibt. Man setzt Aufseher über ihn, die ihn zwingen, rasch seine Aufgabe auszuführen. Man treibt ihn an, man stachelt ihn an, aus Furcht, eine geschickte und entschuldbare Faulheit könnte ihn die Hälfte seiner Kraft verbergen lassen; man besorgt, der Wunsch, längere Zeit bei derselben Arbeit Beschäftigung zu haben, könnte die Flinkheit seiner Hände hemmen und seine Werkzeuge abstumpfen. Schmutziger Geiz verfolgt ihn mit unruhigen Augen, überhäuft ihn mit Vorwürfen bei der geringsten Erholungspause, die er sich gestatten könnte, und fühlt jeden Augenblick der Rast als Diebstahl. Ist er fertig, dann entläßt man ihn, wie man ihn genommen, mit der kältesten Gleichgültigkeit und ohne sich darum zu kümmern, ob die 20 bis 30 Sous, die er für einen harten Arbeitstag erworben hat, genügen, ihn zu erhalten, wenn er am folgenden Tage keine Arbeit findet.

Er ist ja frei! Gerade deshalb bedauere ich ihn. Man schont ihn viel weniger bei den Arbeiten, zu denen man ihn anwendet. Man ist viel kühner, wenn es sein Leben gilt. Der Sklave war für seinen Herrn kostbar, denn er hatte ihn Geld gekostet. Aber der Handarbeiter kostet den reichen Schwelger nichts, der ihn beschäftigt. Zur Zeit der Sklaverei hatte das Blut der Menschen einen Preis. Sie hatten mindestens den Wert der Summe, für die sie auf dem Markte verkauft wurden. Seitdem man sie nicht mehr verkauft, haben sie in Wirklichkeit keinen reellen Wert mehr. In einer Armee gilt der Schanzgräber viel weniger als das Zugpferd, weil das Pferd sehr teuer und

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