Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 510

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der Schanzgräber umsonst zu haben ist. Die Unterdrückung der Sklaverei ließ diese Schätzung aus dem kriegerischen in das gewöhnliche Leben übergehen. Und es gibt seitdem keinen wohlhabenden Bourgeois, der nicht auf diesem Gebiet es mit den Kriegshelden aufnimmt.

Die Taglöhner werden geboren, wachsen und erziehen sich heran zum Dienste des Überflusses, ohne ihm die geringsten Kosten zu verursachen, wie das Wild, das er auf seinen Domänen niederknallt. Es scheint, daß er wirklich das Geheimnis besitzt, dessen sich ohne Grund der unglückliche Pompejus rühmte. Er braucht bloß mit dem Fuße auf die Erde zu stampfen, und es wachsen Legionen arbeitsamer Menschen aus ihr, die sich um die Ehre streiten, ihm dienen zu dürfen. Verschwindet einer aus der Menge dieser Soldknechte, die seine Häuser bauen oder seine Gärten nach der Schnur bepflanzen, so wird die Lücke, die er hinterläßt, gar nicht sichtbar; sie ist sofort ausgefüllt, ohne daß sich jemand darum kümmert. Man verliert ohne Bedauern einen Tropfen aus dem Wasser eines großen Flusses, weil ohne Unterlaß neue Fluten heranströmen. So ist es auch mit den Handarbeitern. Die Leichtigkeit, sie zu ersetzen, nährt die Gefühllosigkeit der Reichen ihnen gegenüber.

Diese, sagt man, haben keinen Herrn. Aber das ist hier doch ein reiner Mißbrauch des Wortes. Was soll das heißen, sie haben keinen Herrn? Sie haben einen, und es ist der furchtbarste, despotischste von allen Herren: die Not. Diese treibt sie in die grausamste Knechtschaft. Sie haben nicht einem einzelnen Menschen zu gehorchen, sondern allen insgesamt. Sie haben nicht bloß einen einzigen Tyrannen, dessen Launen sie schmeicheln und dessen Gunst sie suchen müssen – das gäbe der Knechtschaft Grenzen und machte sie erträglicher. Aber sie werden die Diener eines jeden, der Geld hat, wodurch ihre Sklaverei eine unendliche Ausdehnung und Verschärfung erhält. Man sagt: wenn sie sich bei einem Herrn nicht wohl fühlen, haben sie doch den Trost, es ihm sagen und sich einen anderen suchen zu können: die Sklaven können weder das eine noch das andere. Sie sind also unglücklicher. Welches Sophisma! Man bedenke nur, daß die Zahl derjenigen, die arbeiten lassen, sehr gering ist, die Zahl der Arbeiter dagegen ungeheuer.

Worauf reduziert sich jene anscheinende Freiheit, die ihr ihnen verliehen habt? Sie leben bloß von der Vermietung ihrer Arme. Sie müssen jemand finden, der sie mietet, oder Hungers sterben. Heißt das frei sein?

Am scheußlichsten ist der Umstand, daß die Geringfügigkeit ihres Lohnes noch ein Grund wird, ihn weiter herabzusetzen. Je weniger man des Taglöhners bedarf, desto billiger muß er sich verkaufen. Je größer seine Notlage, desto geringer die Bezahlung seiner Arbeit. Die Augenblicksdespoten, die er unter Tränen anfleht, sie möchten seine Dienste annehmen, erröten nicht, ihm gewissermaßen den Puls zu befühlen, um sich zu vergewissern, ob ihm noch Kräfte geblieben sind. Nach dem Grade seiner Schwäche bemessen sie den Lohn, den sie ihm bieten. Je näher er ihnen dem Untergang durch Entkräftung zu sein scheint, desto mehr verkürzen sie das,

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