Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 305

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/305

Was ich sagen möchte, ist aber keineswegs eine Wiederholung dieser Auffassung; darüber wollten wir durch unsere Resolution nicht abstimmen lassen. Im Gegenteil, ich bin glücklich, feststellen zu können, daß in beiden Kommissionen einstimmig der Wille zum Ausdruck gebracht worden ist, noch weiterzugehen, Neues zu leisten und vor allem praktisch zu handeln. Dies war das Programm, das anzunehmen wir alle entschlossen waren, als wir über unsere Resolution diskutierten.

Neues leisten? Ist nicht der Militarismus eine der ältesten Geißeln, eines der ältesten Verbrechen der bürgerlichen Welt? Was ist also Neues entstanden? Neu ist, daß diese Politik des Militarismus sich in Form der Weltpolitik des Imperialismus ausgeweitet und verschärft hat. Es handelt sich nicht mehr nur um eine gigantische Aufrüstung in Vorbereitung auf einen Krieg zwischen zwei oder drei Nachbarstaaten. Dieser Militarismus treibt alle großen Nationen der Welt beständig in neue koloniale Eroberungen. Er verwandelt die Vereinigten Staaten von Amerika in einen durch und durch militaristischen Staat, und das gleiche gilt auch für England. Und während bisher Deutschland fast als einziges Land seine Armee und seine Flotte unablässig ausbaute, ist diese Politik jetzt die Losung der ganzen Welt geworden. Diese Politik wurde mit dem Chinesisch-Japanischen Krieg[1] eingeleitet, dann folgten der Spanisch-Amerikanische Krieg[2], der Transvaalkrieg[3] und schließlich der Krieg des vereinigten Europa gegen China.[4] Niemals, Bürger, sind Ereignisse von größerer historischer Tragweite so rasch aufeinander gefolgt, niemals verlief die kapitalistische Entwicklung so rasend!

Wahrhaftig, die bürgerliche Gesellschaft ist in eine neue Phase ihrer Entwicklung eingetreten. Die kapitalistische Welt nimmt einen neuen Aufschwung in ihrer Entwicklung, aber sie erschöpft darin ihre letzten Kräfte und läßt den Tag ihres unvermeidlichen Untergangs nur noch näher rücken!

Da diese Kolonialpolitik mehr und mehr die gesamte Innen- und Außenpolitik der kapitalistischen Welt beherrscht, ist es notwendig, daß in der sozialistischen Politik die Verteidigung organisiert wird. Es ist an der Zeit, daß die sozialistische Partei durch ihre Vertreter offiziell von der Weltpolitik Kenntnis nimmt, und eben das wollten wir durch unsere Resolution deutlich machen.

Nächste Seite »



[1] Der Chinesisch-Japanische Krieg von August 1894 bis April 1895 wurde um die Vorherrschaft in Korea geführt und mit dem Frieden von Shimonoseki zugunsten Japans beendet. China wurde gezwungen, die Gebietsforderungen Japans anzuerkennen.

[2] Mit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg April bis Dezember 1898 verstärkten die USA ihren Einfluß in Lateinamerika, erweiterten ihr Kolonialreich durch Kuba, Puerto Rico und Guam und erorberten mit den Philippinen eine strategisch wichtige Militärbasis in Ostasien.

[3] Nach der Entdeckung von Goldfeldern in Transvaal hatte England im Oktober 1899 einen Krieg gegen die Burenrepublik in Südafrika provoziert. Nach anfänglichen militärischen Schwierigkeiten gelang es England, durch einen brutalen Unterdrückungsfeldzug die Buren im Mai 1902 der britischen Herrschaft zu unterwerfen.

[4] 1899 war in Nordchina der Volksaufstand der Ihotuan ausgebrochen, der 1900 durch die Armeen von acht Staaten unter Führung des deutschen Generals Alfred Graf von Waldersee grausam niedergeworfen wurde. In einem Abschlußprotokoll von 1901 wurde China u. a. gezwungen, etwa 1,4 Milliarden M Kontributionen zu zahlen und der Errichtung von Stützpunkten für die Interventionsarmeen zuzustimmen.