Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 472

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Äußerungen in bezug auf das Programm diente bisher dazu, die Praxis ganz unzweideutig im nationalistischen Sinne zu gestalten.

Faßt man die zuletzt erwähnte Resolution mit dem Beschluß zusammen, der den polnischen Parteitag zur höchsten Instanz macht, und endlich mit den feindlichen Angriffen auf einzelne zur deutschen Partei gehörende Genossen wie auf die ganze Posener Mitgliedschaft, so gewinnt man unwillkürlich den Eindruck, als sollte die ganze Einigung darauf reduziert werden, daß die polnische Organisation freilich von der Gesamtpartei wieder aufgenommen und anerkannt werden soll, aber nur, um in jeder Beziehung im alten Fahrwasser zu segeln. Die als Basis vereinbarten Leitsätze sind deutlich genug. Ihr Kern ist folgender: Der polnischen Organisation wird innerhalb der Gesamtpartei die Autonomie zuerkannt, die sie vor ihrer freiwilligen Absonderung von der deutschen Partei genoß, unter der Bedingung, daß sie sich vollkommen und ausschließlich auf den Boden der Gesamtpartei stellt und in bezug auf Programm, Organisation, Presse und Reichstagskandidaturen dieselbe Stellung einnimmt wie etwa die badische oder bayerische Sozialdemokratie. Alle anderen Punkte sollten nur dem Ausbau dieses Leitgedankens dienen und künftige Reibungen verhüten.

Entspricht diese Auffassung der Einigung den Genossen von der „Poln.-soz. Partei“ nicht, dann denkt selbstverständlich niemand daran, ihnen die Einigung zu oktroyieren. Die einmal akzeptierten Grundsätze aber durch Fortlassungen und zuwiderlaufende Beschlüsse in ihr Gegenteil zu verkehren, ist ein Verfahren, das den Tadel jedes billig denkenden Menschen hervorrufen muß.

Die polnische Sondergruppe hat durch ihren Parteitag unerwartet in den Einigungs-Verhandlungen jedenfalls eine gänzlich neue Lage geschaffen und damit die ganze Verantwortung für den weiteren Verlauf der Dinge auf sich geladen.

Volkswacht (Breslau),

Nr. 4 vom 6. Januar 1903.

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