Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 90

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7. Gültigkeit des Staatsvertrages

Zur Gültigkeit des Staatsvertrages im völkerrechtlichen Sinne sind erforderlich

a die Übereinstimmung seines Inhalts mit dem Willen aller Vertragschließenden

b die Übereinstimmung seines Inhalts mit den anerkannten allgemeingültigen Normen des üblichen Völkerrechts.

Die erste Bedingung hat ihren praktischen Ausdruck in dem Austausch der Ratifikationen. Ein Staatsvertrag, welcher von dem Vertreter eines Staates unterzeichnet, von der Obersten Gewalt desselben aber nicht ratifiziert wird, ist für den betreffenden Staat ungültig u. nicht bindend (Beispiele: der Vertrag über Visitationsrecht 1842 nicht ratifiziert von Frankreich, der Washingtoner Vertrag über Einführung internationaler Schiedsgerichte 1890 nicht ratifiziert von den 17 amerikanischen Staaten).

Die zweite Bedingung bezieht sich auf solche Gegenstände, welche von der ganzen zivilisierten Völkergemeinschaft ausdrücklich aus dem öffentlichen Recht eliminiert worden sind. Z. B. ein Vertrag, welcher den Sklavenhandel zwischen zwei europäischen Staaten sanktionieren würde, wäre weder von den übrigen Staaten zu respektieren noch auch bindend für einen der Kontrahenten, falls dieser nach dem Abschluß die Ausführung verweigern wollte.

Die Frage, ob zur Gültigkeit eines Staatsvertrages auch die Übereinstimmung seines Inhalts mit dem Staatsrecht der vertragsschließenden Parteien nötig ist, wird verschieden beantwortet. Seligman sieht in der staatsrechtlichen Gültigkeit eines Staatsvertrages eine condition juris seiner völkerrechtlichen Gültigkeit. Laband u. Gneist dagegen behaupten – unseres Erachtens mit Recht – daß die Vertragschließenden selbst für die Übereinstimmung des Vertrages mit ihrem respektiven Staatsrecht verantwortlich seien, somit ein ratifizierter Vertrag völkerrechtlich ohne weiteres gültig u. bindend, u. seine Nichtbeobachtung ein casus belli sei.

8. Accession, Adhäsion

Ein Staatsvertrag kann auch für diejenigen Staaten gültig sein, von denen u. für die er nicht geschlossen wurde. Dies kann geschehen auf dem Wege des nachträglichen Hinzutretens dritter Staaten zu einem bereits von anderen Staaten geschlossenen Vertrage. Dieses Hinzutreten bezeichnet man als Accession,[1] wenn der neue Kontrahent eine gleiche Stellung wie die ursprünglichen Parteien einnimmt, also z. B. bei der Abänderung des Vertrages mitwirken kann. Man spricht dagegen von einer Adhäsion, wenn der neue Kontrahent bloß passiv den Vertrag als für sich bindend erklärt.

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[1] Fleiner: ?