Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 826

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Aber nicht bloß um das Koalitionsrecht handelt es sich in dem Generalstreik der Beamten. Sie schließen sich dem allgemeinen revolutionären Kampfe um die politische Freiheit vollkommen an. Die Einberufung der Konstituierenden Versammlung auf Grund des allgemeinen, gleichen, geheimen direkten Wahlrechts ist ihre nächste Forderung, nebst Koalitions-, Vereins-, Versammlungsrecht, Presse- und Redefreiheit.

Was ihre ökonomischen Forderungen anbetrifft, so sind sie höchst bescheiden. Die Postbeamten verlangen ein minimales monatliches Gehalt 1. für die Beamten 50 Rubel (108 M), für die unteren Diener 30 Rubel (63 M), für die Gehilfen 25 Rubel. Wissen Sie, wer diese Postgehilfen sind? Sie heißen –„Schüler“. Das sind aber keine 15–16jährige Jungen. Die „Schüler“ – das sind bärtige Familienväter, die jetzt 10 Rubel (20 M) monatlich bekommen und zwölf Stunden täglich arbeiten müssen! Sie bleiben lange, lange Jahre „Schüler“. Daneben stehen andere ökonomische Forderungen der Beamten: die Alters- und Invaliditätsversicherung.

Die Sympathien und die tatkräftige Hilfe des Proletariats und der bürgerlichen Demokratie sind auf seiten der kämpfenden Beamten. Im Büro des Post- und Telegraphenvereins in Moskau haben sich tausend bürgerliche Familien einschreiben lassen, die ihre Bereitwilligkeit erklärt haben, je einen Beamten während des Streiks zu ernähren. Von allen Seiten strömen den Hauptstreikbüros große Summen zu.

Es finden sich auch „Freiwillige“, die sich zum Postdienst melden, um der Regierung aus der Patsche zu helfen. Aber das sind wohlgemerkt keine Verräter aus den eigenen Kreisen der Postbeamten. Nein, das sind alles Leute aus den „besten“ Gesellschaftskreisen! So arbeiten in Petersburg als Postassistenten und Briefträger folgende Herrschaften: der Kammerherr Kosuakow, Freiherr M. Welio, Freiherr v. Rapp, Freiherr v. Steiger, General L. Adamowitsch, Generalmajor A. Hauke, die Fürstin Gaparin, die Freifrau M. Medem, das Hoffräulein E. Pandelejewa usw. usw.

Das sind keine Streikbrecher. Das sind Leute, die den Gegensatz ihrer Klasseninteressen zu den Interessen des kämpfenden Proletariats wohl erkannt haben. Ihre „Freiwilligendienste“ – das ist ein regelrechter Klassenkampf, und deshalb fürchten wir ihn nicht. Der Mut in unseren Reihen ist unerschüttert. Wir werden siegen, wir werden unbedingt siegen.

Die „Meuterer“ sollen eingeseift werden

Petersburg, 19. Dezember. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Ein Tagesbefehl im Militärressort gibt bekannt, daß ein kaiserlicher Befehl vom 19. Dezember eine bessere Verpflegung und eine Erhöhung der Bezüge der Mannschaften aller Waffengattungen anordnet. Die Mannschaften sollen ferner auch warme Dekken, Bettwäche und Seife geliefert erhalten.

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