Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 827

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/827

Offiziöse Fälschungen

Die folgende Meldung, die den Stempel der Lüge an der Stirn trägt, wird von der russischen Regierungsbande verbreitet: Petersburg, 19. Dezember. Die Untersuchung gegen den Präsidenten des Arbeiterkomitees, Chrustalew, ergab, daß dieser alle Vorbereitungen zur Gefangennahme Wittes[1] getroffen hatte. (!) Zwanzig entlassene Postbeamte haben sich beim Revolutionskomitee gemeldet, um ein Attentat auf Durnowo[2] auszuüben. (!) – Die Regierungskundgebung macht einen günstigen Eindruck und wird nicht als ein reaktionärer Akt angesehen, (!) sondern als Beweis, daß die Regierung fest entschlossen ist, die Ruhe wieder herzustellen und die Konstitution durchzuführen. (!)

Kampfbereit

Petersburg, 19. Dezember. Das Exekutivkomitee des Arbeiterdeputiertenrates, welches gestern seine Sitzung aufheben mußte, weil es seine Verhaftung befürchtete, erläßt zusammen mit dem Verband der Verbände einen Aufruf, worin sie erklären, von der gegenwärtigen Regierung drohe dem Lande Gefahr. Sie würden den von der Regierung begonnenen Kampf aufnehmen. Das Kampfmittel würde von dem ferneren Verhalten der Regierung abhängen. Vorläufig seien alle Kräfte mobilzumachen, um für den Generalstreik bereit zu sein, wenn ein solcher angekündigt werde.

Riga, 17. Dezember. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) In der Stadt und den Nachbarorten herrscht gegenwärtig Ruhe. Der Generalstreik dauerte dreieinhalb Tage, ohne daß es zu Ausschreitungen, Angriffen oder Gewalttätigkeiten gekommen ist. Das völlige Ausbleiben von Nachrichten hat jedoch in der Bevölkerung Unruhe hervorgerufen. Jetzt nimmt alles allmählich wieder seinen gewohnten Gang; freilich sind Gerüchte in Umlauf, daß wahrscheinlich ein neuer Streik ausbrechen werde. Die in Petersburg und dem Auslande verbreiteten Gerüchte über Verwüstungen und Brandstiftungen in Riga sind wahrscheinlich zurückzuführen auf die Meldungen von sehr ernsten Ausschreitungen in der Provinz, wo, wie es heißt, Brandstiftungen, Mordtaten und andere Gewalttaten vorgekommen und viele Güter, Pachtgüter und Schlösser vollständig zerstört worden sind.

Weitere Provokationen

Petersburg, 18. Dezember. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) In dem Gouvernement Suwalki ist über die Kreise Wl⁄adislawowo, Mariopol, Wolkowyschki [sic!] und Kolwari der Kriegszustand verhängt worden.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 297 vom 20. Dezember 1905.

Nächste Seite »



[1] Graf Witte war von 1892 bis 1903 Finanzminister und von Oktober 1905 bis April 1906 Ministerpräsident Rußlands. Er war Monarchist, aber zeitweilig zu einem Bündnis mit der Großbourgeoisie und zu konstitutionellen Zugeständnissen bereit. Letzten Endes war er maßgeblich an der Unterdrückung der Revolution beteiligt.

[2] Pjotr Durnowo war vom 30. Oktober 1905 bis 22. April 1906 Innenminister.