Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 82

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wendig, die Organisierung einer allgemeinen sozialistischen Partei vorzunehmen, in welche die sozialistischen Organisationen verschiedener Nationalität in den Grenzen des russischen Staates als deren Bestandteile eintreten werden.“

„Es ist notwendig, die Ausarbeitung eines allgemeinen politischen Programms für alle Sozialisten, die in den Grenzen des russischen Staates tätig sind, in Angriff zu nehmen.“[1]*

Und dieselben vor zehn Jahren ermordeten Gründer der polnischen Arbeiterbewegung haben diese Grundsätze auch ins Leben eingeführt. Kunicki war gleichzeitig [als] ein Mitglied der polnischen Partei „Proletariat“ in der russischen „Narodnaja Wolja“.[2] 1884 führte er mit seinen Genossen ein Bündnis zwischen diesen zwei Parteien durch, zum Zwecke gemeinsamen politischen Kampfes gegen die russische Blutregierung.

Mit diesem Bündnis haben die Helden ihr großes Werk zum Abschluß gebracht; sie haben die polnische Arbeiterbewegung von allen nationalistischen Bestrebungen zu der Wiederherstellung Polens ein für alle Mal abgeschnitten und mit einem untrüglichen politischen Wegweiser versehen: Die polnischen Arbeiter haben in jedem Staate mit allen übrigen Proletariern solidarisch Schulter an Schulter zu kämpfen.

So waren schon zu Beginn der 80er Jahre die besten Grundlagen zu einer klaren sozialdemokratischen Bewegung in Polen gelegt. Aber der Sensenmann in Gendarmenuniform ließ nicht lange auf sich warten. 1883 wurde die Seele der Partei, Waryn´ski, verhaftet, 1884 Kunicki, Bardowski u. a., um nie mehr aus den Klauen der Henkerregierung zu kommen. Nach Verlust dieser hellen Köpfe und mächtigen Geister geriet die polnische Bewegung ins blanquistische Fahrwasser und stockte immer mehr. Jedoch international blieb sie bis zum letzten Augenblick der Existenz der Partei „Proletariat“. 1889 organisierte sich dann eine nunmehr durch und durch sozialdemokratische Bewegung, welche die Überreste der Partei „Proletariat“ in sich aufnahm, die Agitation in die breiten Massen des Proletariats trug und das Programm auf eine wissenschaftliche Basis stützte.[3] Das Banner der internationalen Bewegung in Polen hat sie mit neuer Kraft aufgenommen, und so führt sie direkt das Werk der Waryn´ski, Kunicki u. a. fort.

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[1] * Siehe ebenda, Nr. 6 und 7.

[2] „Narodnaja Wolja“ (Volkswille) war 1879 als illegale revolutionäre Organisation aus der nach 1861 in Rußland entstandenen Bewegung der Narodniki/Narodowolzy (Volkstümler) hervorgegangen. Sie bildete sich nach der Spaltung von „Semlja i Wolja“ (Land und Freiheit). Die Ziele von „Narodnaja Wolja“ waren u. a. allgemeines Wahlrecht, Gewissens- u. Pressefreiheit, eine tiefgreifende Agrarreform, in deren Ergebnis das Land den Bauern übertragen werden sollte, die es bearbeiteten. Die Zeitung „Narodnaja Wolja“ erschien – mit Unterbrechungen – illegal zwischen Oktober 1879 und Oktober 1895 mit einer Auflage von 2000 bis 3000 Exemplaren. Den Sturz der Selbstherrschaft versuchte sie durch Taktik der Verschwörung und des individuellen Terrors zu erreichen. Nach dem Attentat auf Zar Alexander II. 1881 wurde die Organisation zerschlagen.

[3] Gemeint ist der 1889 in Warschau von Julian Marchlewski und Jan Leder gegründete Verband Polnischer Arbeiter (Zwia˛zek Robotników Polskich) und das 1888 von Marcin Kasprzak gegründete II. oder „Kleine Proletariat“.