Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 81

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„Wir treten hier auf“, sprach Waryn´ski, „nicht als Kämpfer für den künftigen polnischen Staat, sondern als Vertreter und Verteidiger des polnischen Proletariats.“[1]* „Uns sind gleichgültig diese oder andere Grenzen des polnischen Staates – das Ideal unserer Patrioten. Unser Vaterland, das ist die ganze Welt. Wir sind Mitglieder einer großen Nation, derjenigen Nation, die unglücklicher ist als die polnische – der Nation des Proletariats!“[2]*

In demselben Jahre 1881 suchten die Sozialpatrioten auf dem internationalen sozialistischen Kongreß in Chur die Wiederherstellung Polens als das politische Programm der polnischen Arbeiter hinzustellen. Aber L. Waryn´ski trat auf, und mit einem energischen Protest schüttelte er diese Anmaßungen des Nationalismus von den Rockschößen der Arbeiterbewegung ab.[3]*

Einmal auf dem internationalen Klassenstandpunkt stehend, verstanden auch die Gründer des polnischen Sozialismus, daß die politischen Aufgaben des polnischen Arbeiters in jedem der drei Teile Polens,[4] gemäß den dreierlei verschiedenen politischen Bedingungen auch verschieden sein mußten. „Die Organisation der sozialistischen Parteien“, sagten sie, „kann geschehen nur einerseits auf Grund der ökonomischen Bedingungen, anderseits auf Grund der faktisch existierenden staatlich-politischen Bedingungen, wobei die ethnographischen Grenzen der Nationalität nicht als Basis der Organisation dienen können. Eine polnische sozialistischen Partei als ein einziges Ganzes kann daher nicht existieren, es können nur polnische sozialistische Gruppen in Österreich, Deutschland und Rußland existieren, die zusammen mit den sozialistischen Organisationen anderer Nationalität in jedem gegebenen Staat einen Organisationsbund bilden.“[5]*

„Einen solchen Charakter“, schreibt L. Waryn´ski 1881, „trägt eben das (von ihm und seinen Genossen aufgestellte) ‚Programm der Arbeiterpartei Galiziens‘, welches nicht nur für die polnischen, sondern für die Arbeiter aller verschiedenen Nationalitäten, die sich in Galizien zu einer Partei solidarisch vereinigen, bestimmt ist. Es ist leicht abzusehen“, schreibt er ferner, „daß auch in Posen die Bewegung dieselbe Bahn betreten wird wie in Galizien, daß sich auch dort die polnischen Arbeiter solidarisch mit den deutschen zu einer einzigen kompakten Organisation verbinden werden.“[6]* Was Russisch-Polen anbelangt, so richteten dieselben Leiter der Bewegung 1881 einen Aufruf an die russischen Genossen, worin sie folgende Sätze aufstellten: „Es ist not

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[1] * Siehe Bericht über die internationale Versammlung in Genf zur 50jährigen Gedächtnisfeier an den polnischen Aufstand, Genf 1881, S. 77.

[2] * Ebenda, S. 83.

[3] * Kongreß in Chur. Sitzung vom 4. Oktober 1881.

[4] Im Ergebnis der drei Teilungen Polens von 1772, 1793 und 1795 gingen die Westgebiete an Preußen, Galizien an Österreich, das sogenannte Kongreßpolen bzw. Königreich Polen wurde 1815 in Personalunion mit Rußland verbunden.

[5] * Siehe Przeds´wit, 1881, Nr. 6 und 7.

[6] * Siehe ebenda, Nr. 3 und 4.